Im braunen Land

■ Wie führende Neonazis einen Landstrich im Odenwald als Basis nutzen

„Bei uns ist die Welt noch in Ordnung.“ Davon ist Karl Neuser, der CSU-Bürgermeister des Örtchens Amorbach im Odenwald, felsenfest überzeugt. In die „liebenswerte Barockstadt im reizvollen Naturpark“ (Eigenwerbung) mit ihren 4.500 Einwohnern strömen die Touristen. Negative Schlagzeilen stören nur das sorgfältig gepflegte Idyll.

Für die sorgte ausgerechnet ein Mann, der, so der Bürgermeister, „bislang nie aufgefallen ist“. Als die Aschaffenburger Kriminalpolizei das Anwesen des Lothar S. in der Steinernen Gasse durchsuchte, fand sie ein ganzes Arsenal einsatzfähiger Waffen, unter anderem auch Maschinenpistolen. Das war noch nicht alles. Der 46jährige arbeitslose Techniker hatte neben Reichskriegsflaggen und Hakenkreuzfahnen auch noch jede Menge neonazistisches Propagandamaterial gehortet. Gegenüber der Polizei gab er sich als „Waffensammler“ und „Patriot“ aus. Seit vier Jahren wäre er Mitglied der „Deutschen Liga für Volk und Heimat“. Manchmal, so erzählte er den Staatsschützern, unterhalte er gesellschaftlichen Kontakt zu Personen aus dem rechtsextremen Spektrum.

Dazu hat er in Amorbach und Umgebung auch reichlich Gelegenheit. Eine ganze Reihe weit über die Region hinaus aktiver Neonazis hat die Odenwald-Region als Domizil gewählt. Im kleinen Röllbach im Kreis Miltenberg ist der bayerische Landesvorsitzende der „Deutschen Liga“, Werner Eichinger, zu Hause. Laut Verfassungsschutz zählt die von unzufriedenen Parteigängern der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD) und der „Republikaner“ gegründete Organisation etwa 150 Mitglieder in Bayern. Bundesweit sind es 900. Ihr Ziel: die zersplitterte Rechte zu vereinen.

In der Odenwald-Region hat Eichinger, vormals Bundesfahrtenleiter der inzwischen verbotenen Wiking-Jugend, vorgemacht, wie das geht. 1990 rief er den „Deutschen Freundeskreis Franken“ (DFF) ins Leben. Der DFF versteht sich als „überparteiliches Aktionsbündnis nationaler Verbände“ und wird von allen relevanten Neonazi-Gruppen der Region getragen. Organ des DFF ist das Junge Franken mit einer Auflage von 4.000 Exemplaren. Schriftleiter ist Jürgen Schwab. Der ehemalige „Republikaner“ wohnt direkt in Amorbach und greift unter dem einfallsreichen Pseudonym „Amor“ oder „A. Morbach“ auch für Nation + Europa oder die Staatsbriefe zur Feder. Seit einiger Zeit erscheint das Junge Franken, in dem monatlich der „ausländerfreundlichste Mitbürger Frankens“ an den Pranger gestellt wird, nun als einer von sechs Regionalteilen der Berlin- Brandenburger Zeitung, der Zeitung der „nationalen Erneuerung“.

Verantwortlich für das Junge Franken zeichnet Klaus Beier, die zentrale Figur der rechten Szene in der Region. Der 31jährige Einzelhandelskaufmann wohnt in Kirchzell, nur wenige Kilometer von Amorbach entfernt. Beier fungiert als Bundespressesprecher der JN und ist NPD-Kreisvorsitzender von Aschaffenburg. Sein Organisationstalent stellte er nicht nur bei den „Rudolf-Heß-Aufmärschen“ oder den „Münstermann-Gedenkmärschen“ unter Beweis. Unter seiner Regie schlossen sich auch verschiedene rechtsextreme Gruppierungen zu einem Bündnis gegen das Jugendzentrum KOMM in Nürnberg zusammen.

Vor Ort ist Beier voll integriert. Als Büttenredner bei der Prunkssitzung des Amorbacher Karnevalsverein brachte er schon einmal die Narren zum Lachen, er hob den Kegelclub Kirchzell und einen Heimatverein aus der Taufe. Um noch näher an dieser illustren Runde zu sein, zog Dirk Nahrath, Bruder des WJ-Bundesführers Wolfgang Nahrath, von Miltenberg ins unmittelbar nördlich von Amorbach gelegene Weilbach um. Etwas weiter weg, in Stockstadt, zieht Axel Schunk, einst WJ-Gauführer, jetzt stellvertretender Vorsitzender des NPD- Regionalverbands Unterfranken und Sozialreferent der Bundespartei, seine Kreise. In Aschaffenburg selbst wirkt Falco Schüssler. Der ehemalige FAP-Chef von Bayern ist jetzt bei der JN aktiv und sitzt wie Schunk, Beier, Schwab und Eichinger im Frankenrat, dem Führungsgremium des „Freundeskreises“.

Im Landkreis, wo „die Welt noch in Ordnung ist“, nutzen die Aktivisten ihre guten Kontakte, um zentrale Veranstaltungen durchzuführen. In Obernburg gastierte die Skin- Band „Tonstörung“, in der kleinen Spessart-Gemeinde Miltenberg trat FAP-Chef Busse auf. Im Dezember 1994 trafen sich 200 Neonazis aus dem In- und Ausland zum „Kongreß der europäischen Jugend“ im Saalbau Klingenberg. Das Deutschland-Treffen der NPD fand 1995 in Karlstadt statt. Dazu kommen die alljährlichen Aufmärsche in Aschaffenburg.

Für Bürgermeister Neuser alles kein Problem. „Es gibt keine rechtsextreme Szene bei uns. Bei Wahlen lagen die schon immer bei nur einem Prozent.“ Paul Harbrecht