Strafexpedition gegen eine „bunte Adresse“

■ Der Überfall auf das Alternative Jugendzentrum Chemnitz war lange vorbereitet

Der vollbesetzte Linienbus hielt 20.44 Uhr vor dem Jugendzentrum. Die Band im Saal spielte sich noch warm. Maik (Name geändert) schaute aus dem Fenster und meinte einen Augenblick, jetzt würden noch rund 60 Gäste kommen. Dann sah er, wie einer der Glatzköpfe aus dem Papierkorb vor dem Haus zwei leere Flaschen zog. Der Angriff dauerte nur wenige Minuten.

Die zum Teil vermummten Skins droschen zielstrebig und arbeitsteilig mit Baseballschlägern und Knüppeln los. Eine Truppe stürmte den Saal, einer die Nebenräume, einer agierte vom Hof aus. Der Saaltrupp versäumte nicht nachzuschauen, ob sich jemand auf der Toilette versteckt hielt. So schnell, wie sie gekommen waren, zogen die Angreifer wieder ab. Sechs Klubbesucher wurden verletzt. Sämtliche Scheiben des Jugendzentrums gingen zu Bruch. Ostersonntag in Chemnitz.

„Dieser Überfall war von langer Hand geplant und organisiert“, so lautet die einhellige Meinung im Alternativen Jugendzentrum (AJZ), einem selbstverwalteten Projekt im ehemaligen Kulturhaus der Industrievorstadt. Für diese Annahme würde eine Reihe von Indizien sprechen: der frühe Zeitpunkt, noch bevor das Punk-Konzert so richtig begonnen hatte; Tempo und Brutalität; die sehr gut organisierte Flucht. „Das war keine spontane Schnapsidee“, erklären die Zeugen des überfalls, „die Leute waren nüchtern, und jeder wußte, was zu er tun hatte.“

Beobachtungen, wonach einige Angreifer in bereitgestellten Autos geflüchtet sind, will der Chemnitzer Polizeisprecher Peter Schindler „weder bestätigen noch dementieren“. Die Polizei nahm 18 Tatverdächtige im Alter von 17 bis 27 Jahren fest und ließ sie am nächsten Tag frei. Jetzt ermittelt die Sonderkommission Rechtsextremismus des Landeskriminalamtes wegen Landfriedensbruch im besonders schweren Fall.

Staatsanwalt Bernd Vogel spricht von einer „schwierigen Beweissituation“. Doch die Zeugen des Überfalls könnten den Ermittlungen ein gutes Stück auf die Sprünge helfen. Nicht wenige Angreifer sind ihnen sogar namentlich bekannt: „Das waren rechte Skins aus dem Heckertgebiet“, heißt es. Das ist das Chemnitzer Plattenbauviertel, wo auch einige der Punks wohnten, bevor sie sich im AJZ und in Wohnprojekten auf eigene Füße stellten.

Denkbar, daß Neid und Haß die Strafexpedition motivierten: Während sich das AJZ seit fünf Jahren als „bunte“ Adresse in Chemnitz etabliert hat mit Konzerten, Medienwerkstatt, Kino und Kneipe, tigert die rechte Bewegung offenbar nur im ideologischen Käfig. „Das ist deren Dummheit, die sie prägt, daß sie gar nichts auf die Reihe kriegen“, beschreibt Andreas das Klima.

Über organisatorische Strukturen hinter dieser Aktion gibt es, so die Auskunft des LKA-Sprechers Lothar Hofner, auf dem jetzigen Ermittlungsstand noch keine Erkenntnisse. Von einer derzeit „angespannten Situation zwischen rechten und linken Gruppierungen“ spricht Reinhard Boos, Vizepräsident des sächsischen Landesamtes für Verfassungsschutz. In Sachsen betreibe die NPD erfolgreich Mitgliederwerbung. Die Partei erfülle hier eine „Führungsfunktion im rechten Lager“ und bemühe sich auch um Kooperation mit neonationalsozialistischen Organisationen. Zur Strategie gehört ein jugendliches Outfit: junge Funktionäre, Skinhead-Konzerte und „antikapitalistische“ politische Parolen. 300 Mitglieder zählt die NPD in Sachsen, bundesweit sind es 4.000. Detlef Krell