Ein Kick Kunst für fast nix

Wenn die Wände trist und karg sind, hilft ein schräges Bild vom Profi in der Bude. In Berliner Artotheken gibt's museumsreife Kunst zum Ausleihen, umsonst oder gegen eine kleine Gebühr  ■ Von Anja Dilk

Na schön, die neue Wohnung ist groß, hell, frisch gepinselt. Immerhin. Der Diwan, der Knautschsessel, die Bücher und die kipplige Schaufensterpuppe vom Flohmarkt machen sich gut. Aber die Wände. Weiß. Karg. Freudlos. Aber nicht schon wieder diese Poster. Wieso nicht mal ein richtiges Bild? Ein Bild aus der Artothek zum Beispiel. Denn da gibt es einen Kick Kunst für fast nix.

Chausseestraße im Bezirk Mitte. Ein weiß getünchter Neubau zwischen Baustelle und Tram. Im ersten Stock sind die Wände gepflastert mit knalligen Ölgemälden, mit Graphiken, Radierungen. Plastiken und Skulpturen stehen vor den Fenstern. Alles, was hier hängt, ist echt. Originale von jungen Künstlern, oft aus Berlin, zeitgenössische Kunst der Moderne aus der deutschen und internationalen Szene zum Beispiel. Selbst Einzelstücke von Otto Dix und Max Beckmann sind dabei. Der Bestand der Artothek des Neuen Berliner Kunstvereins umfaßt mehr als 3.000 Kunstwerke, erworben aus Mitteln der Staatlichen Klassenlotterie. Und alles kann man sich ausleihen. Für nur 50 Pfennig Versicherung pro Bild im Monat. Eine Vorsichtsmaßnahme, obwohl das Risiko gering ist. In den ersten zehn Jahren der Artothek gingen nur 17 Werke verloren, oft durch Wohnungsbrand oder Glasbruch.

Die Idee des Kunstverleihs für jedermann stammt aus den späten 60er, frühen 70er Jahren. Mit der wachsenden Demokratisierung der Lebensverhältnisse sollte Kunst auch für diejenigen zugänglich und nahegebracht werden, die sich Kunst sonst nicht leisten konnten. Nicht nur Kunst fürs Bildungsbürgertum, sondern auch mehr Kunst fürs Volk. Warum also nicht Bilder wie Bücher verleihen?

Die älteste Bildervermietung ist die Graphothek in Tegel. Dort gibt es 5.800 Exponate, von Aquarellen über Gouachen bis zu Druckgraphiken. Auch Siebdrucke von Andy Warhol und Baselitz und sogar ein Christo sind dabei. Eine Ankaufskommission aus drei Künstlern, der Graphotheksleitung und dem Kunstamtsleiter sorgte bisher zweimal im Jahr dafür, daß der Bestand der Graphothek aufgestockt wurde. Doch damit ist es jetzt fast vorbei. Der Bezirk muß sparen. „Seit 1996 ist der Ankaufsetat so gering“, sagt Graphotheksleiterin Doris Lehmann, „daß es sich fast nicht mehr lohnt, ihn zu nennen.“

Die satten Zeiten sind auch für die Benutzer vorbei. Seit 1995 muß die Graphothek Gebühren erheben, um sich finanzieren zu können. Eine Zehnerkarte kostet 60 Mark, das macht pro Bild 3 Mark Miete im Monat. Wer einzeln bezahlt, muß 5 Mark löhnen. Immer noch nicht die Masse. Doch für Lehmann ein „wunder Punkt“. Denn seit 1995 sind die Benutzerzahlen erheblich zurückgegangen. „Wir arbeiten zur Zeit an einem neuen Konzept, um die Ausleihe wieder attraktiver zu machen“, sagt die engagierte Graphothekin. Vormerken kann man heute schon, dann soll der Benutzer beispielsweise auch telefonisch verlängern können.

Freilich gibt es immer noch viele, die sich durch die Gebühren vom Reiz der Bilderleihe nicht abbringen lassen. Bis zu sechs Monate kann sich der Benutzer die Kunst über die heimische Couchgarnitur hängen. „Viele finden es einfach interessant, ständig wechselnde Ausstellungen in den eigenen Räumen zu inszenieren“, erzählt Lehmann, „und wo bekommt man schließlich sonst schon Sachen her, die normalerweise im Museum hängen?“

Die Charlottenburger Graphothek, die im Sommer ihr zehnjähriges Jubiläum in der Villa Oppenheim feiert, ist die kleinere, intimere Variante der Bilderleihe. Weil es an Platz fehlt, lagern die Bilder im Archiv unterm Dach. Die Kunden können sich per Katalog aussuchen, was sie mitnehmen möchten. „Manche Entleiher überlassen die Auswahl auch ganz mir“, sagt Leiterin Magda Willuhn. Doch auch hier sind seit dem ersten Januar Gebühren fällig: 20 Mark Jahresbeitrag.

Kaufen kann man die Leihkunst nicht. „Aber wir geben die Adressen der Künstler gern weiter, sagt Heide Bayat, Artothekin im Neuen Berliner Kunstverein, „oder vermitteln Atelierbesuche.“ Damit aus der Kunst auf Zeit Kunst auf Dauer in die Bude kommt.

Artothek des Neuen Berliner Kunstvereins, Chausseestr. 128/9,

Tel.: 2807022. (Am 23.4. findet im NBK ein Artothekgespräch zwischen Ruth Nentzel und Prof. Hermann Pfütze zum Thema „Kunst in der Wohnung“ statt.)

Graphothek Tegel, Buddestr. 21, Tel.: 41778018;

Kulturforum Villa Oppenheim, Schloßstr. 55, Tel.: 3434151.