■ Heimatkunde (5): Der „Sachsenhain“ in Verden an der Aller – Ein zweifelhaftes Gemetzelfeld als umraunte Kultstätte völkischer Kreise
: „Heil dir, Wittekinds Stamm!“

Leistungskurs Geschichte, Grundwissen Frühmittelalter. Von 772 bis 804 führt Karl der Große Krieg mit den Sachsen. Nachdem sein Heer in sächsisches Gebiet eingedrungen ist, wird die im Hochsauerland gelegene Eresburg erobert und die darin befindliche Irmensäule, die nach Auffassung der immer noch Wotan-gläubigen Sachsen das Weltall trägt, zerstört. Nach zwei Feldzügen unterwerfen sich etliche sächsische Stämme; in einem gemeinsamen „Heerbann“ mit seinen fränkischen Kriegern schickt Karl sie gegen die weiter östlich siedelnden slawischen Sorben aus. Aber am Süstel, einem Höhenzug im Weserbergland, fallen die vermeintlichen neuen Verbündeten 782 über die Franken her. Als Karl, der seinem Reich zwischenzeitlich Spanien angegliedert hat, zurückkehrt, hält er blutig Gericht: Bei Verden an der Aller läßt er eine Schar vorsorglich als Geiseln genommener Sachsen (der Legende nach 3.500 adlige „Edelinge“) köpfen. Das wird zum Fanal für einen Aufstand, der erst mit der Niederlage der Sachsen an der Hase bei Osnabrück zwei Jahre später endet; zum Zeichen der Unterwerfung muß sich der oberste Sachse, Herzog Widukind, 785 in Karls Residenz in der Champagne taufen lassen. Aus Widukind, Sachsenmord und trutzig-heidnischem Widerstand strickte sich das seit der Romantik Ende des 18. Jahrhunderts aufkommende niederdeutsch-völkische Bewußtsein dann nach und nach den Niedersachsen-Mythos zusammen.

Wo sich Karls Massaker zutrug, ist historisch nicht geklärt; wahrscheinlichster Schauplatz ist der damalige Richtplatz beim bald darauf auf Karls Geheiß erbauten Dom. Heidedichter Hermann Löns verlegte es in seiner Erzählung „Die rote Beeke“ einfach an den an Verden vorbeifließenden Halsebach. Und dorthin zogen, Löns im Herzen, schon vor dem Ersten Weltkrieg gern deutschtümelnde Wandervögel, mit der Zeit wurde das Gelände so umraunte Kultstätte völkischer Kreise.

Zu Beginn der Naziherrschaft wies aber noch keinerlei Denkmal darauf hin. In der NSDAP war man ideologisch uneins, ob man Wotan-Anbeter Widukind oder Karl als Bauherrn des Reiches den Vorzug geben sollte. Widukind- Fans waren Himmler, Parteiideologe Rosenberg und Reichsbauernführer Darré, zu Karl hielten Goebbels und Rudolf Heß. (Hitler hielt sich vorerst bedeckt.) Beim Verdener „Niedersachsentag“ im Juni 1934 ergriffen Rosenberg und Darré dann die Initiative: In markigen Reden stellten sie Hermann den Cherusker, Widukind, Luther, Bismarck und Hitler in eine Reihe und appellierten an die Volksgenossen aus dem Gau Ost-Hannover, „auf dem Anger von Verden, der gerötet war von dem Blut unserer hingemordeten Ahnen, ewige und unverbrüchliche Treue zum Volk und zur Heimat“ zu schwören. Bald schon solle ein „Sachsenhain“ mit 4.500 von niedersächsischen Dörfern gestifteten Findlingssteinen angelegt werden.

Zeitgleich trieb ein Hitler-Finanzier der ersten Stunde ein konkurrierendes Projekt voran. Der Inhaber des medizinisch-rassehygienischen Julius F. Lehmann Verlages hatte auf seinem Schloß Hoheneck bei Ipsheim schon längst einen „Sachsenstein“ setzen lassen. Nun wollte er am Halsebach vom Münchner Bildhauer Müller- Kamphausen ein gewaltiges Monument errichten lassen: Widukind, samt Roß und zwölf Meter lang in seiner Gruft ruhend, darüber, „gewissermaßen aus dem Geiste und dem Blute des Toten“, weitere zwölf Meter hohe Gestalten: „Das erste junge Niedersachsenpaar, das nach dem Mord in Verden sich zum Bunde fürs Leben die Hand reicht“, dahinter „als Verkörperung des wieder erwachenden neuen sächsischen Volkes sechs Knaben und sechs Mädchen an einer Felsplatte angelehnt [...], da das edle Sachsenroß nicht fehlen darf, wird dem jungen Paar je ein Brautpferd zugeführt.“

In Verden war man nicht durchweg begeistert. Stadtarchivar Carl Meyer veröffentlichte noch vor dem „Niedersachsentag“ einen Artikel, in dem er feststellte, daß „Karl der Große Deutscher“ und Widukind ein zwielichtiger Geselle gewesen sei, „der merkwürdigerweise immer verschwand, wenn es zum Äußersten kam“. Von den 4.500 Sachsen seien die meisten nur des Landes verwiesen worden, auch seien kaum „Edelinge“ darunter gewesen. Und die Hinrichtungsstätte am Halsebach sei reines Phantasieprodukt. „Sachsenhain“- und „Widukind“-Projekt sahen sich auch vor örtlichem Behördenwiderstand: Der angebliche Schauplatz befand sich nämlich im natürlichen Überschwemmungsgebiet von Weser und Aller – das Wasserbauamt hielt deshalb jedes Bauvorhaben dort für unzulässig.

Besonders heftig gerieten die Beamten mit SS-Abgesandten Himmlers aneinander. Die hatten das Gelände heimlich aufgekauft, den frühmittelalterlichen Sachsen mit einem provisorischen Hünengrab schon mal ein Denkmal gesetzt und – wegen der Unterspülungsgefahr für die Wasserbauexperten schlicht verantwortungslos – den Boden nach Sachsenknochen durchwühlt. Gebaut wurde der „Sachsenhain“ – mit dem Tod des Verlegers Lehmann Anfang 1935 war die Widukind-Gruft aus dem Rennen – dann in einem angrenzenden Waldstück; Regie führte ein Himmlerscher Gewährsmann, der völkische Literat Precht. Reichsbahnzüge schafften Findlinge heran, auf Loren wurden sie in den von Reichsarbeitsdienstlern bevölkerten „Hain“ gebracht.

Auch beim Bau gab es Ärger: Die Dörfer klauten sich gegenseitig die abzuliefernden Steinbrocken, der eigensinnige Precht legte sich ständig mit örtlichen Parteigliederungen an. Ein Jahr nach dem „Niedersachsentag“, im Juni 1935, wurde der zusätzlich mit alten Bauernhäusern ausstaffierte „Hain“ dann von Himmler, Darré, Rosenberg sowie 10.000 Niedersachsen mit Wagner-Musik und Fackelzügen eingeweiht.

Womit seine Geschichte schon zu Ende war. Auf dem Nürnberger Parteitag desselben Jahres überreichte Rudolf Heß Hitler feierlich eine Nachbildung des Schwerts Karls des Großen. Mit diesem Votum war Widukind ideologisch endgültig abgemeldet, der „Sachsenhain“ für den Rest der Nazizeit ein bedeutungsloses SS-Institut. Wegen Querelen mit der SS landete Bauleiter Precht sogar im KZ Sachsenhausen; er überlebte nur knapp. Sein Werk übernahm nach Kriegsende die evangelische Kirche, die dort seitdem einen „Jugendhof“ betreibt und einige der Findlinge als Stationen eines „Meditationsweges“ mit christlichen Sinnsprüchen verzieren ließ.

Aufgesucht wird die Stätte aber immer noch gern von rechtsradikalen neuheidnischen Gruppen. Sie haben sich schon mehrfach brieflich bei Verdens Stadtverwaltung über diese „Grabsteinschändung“ beschwert. Christian Meurer

Ausführlich schildert die Vorgänge um den „Sachsenhain“ ein Aufsatz von Justus H. Ulbricht im „Heimatkalender für den Landkreis Verden“ 1995/96