Am 12. April soll die Friedenstruppe unter italienischer Führung ihren Einsatz in Albanien beginnen. Italien erhofft sich davon internationale Aufwertung. Kritiker vermissen klare politische Führung und militärische Kompetenz Aus Rom Werner Raith

Avanti, dilettanti!

In einer Woche, am 12. April, soll er beginnen, der Einsatz einer internationalen Friedenstruppe in Albanien unter italienischer Führung. Und zumindest einer weiß, wer an den andauernden Querelen um die italienische Rolle schuld hat: Verteidigungsminister Beniamino Andreatta.

Schuld hat die Presse. „Mit eurer Berichterstattung habt ihr den Zorn vieler Albaner auf uns gezogen“, fuhr er die Journalisten an, „mit euren Bildern habt ihr Haß geschürt“ – und nun, diese Schande, „können wir unsere Soldaten nicht im Süden Albaniens stationieren“. Dort nämlich ballen die Menschen schon die Fäuste, wenn sie „Italien“ hören – war doch von hier aus jenes Unglücksschiff gestartet, das nach einem Zusammenstoß mit einer Fregatte der italienischen Marine über achtzig Menschen mit in die Tiefe riß.

Schuld hat für ihn nicht etwa die italienische Regierung, die ein Embargo gegen Flüchtlingsschiffe verfügt hat und nun auch noch die Häfen Albaniens lückenlos kontrollieren will; nicht der Kapitän des Kriegsschiffs; auch nicht das unsägliche Schweigen der Minister und ihres Chefs Romano Prodi nach dem Unglück – nein, die Presse.

Doch weder Presse noch oppositionelle Politiker lassen sich diese Schuldzuweisung gefallen. Und es sind keineswegs nur „gefühlsduselige Linke und Grüne“, wie selbst der interventionsgeneigte Corriere della sera feststellt, „sondern auch gestandene Politprofis, die hier Manschetten kriegen“. Etwa der frühere Vorsitzende der industrienahen Republikanischen Partei, Giorgio La Malfa, der einmal ein Verfechter eines „Protektorats Albanien“ war. Er brandmarkt die vorgesehene Form der Eingreifaktion als „nicht nur lebensgefährlich für unsere Soldaten, sondern höchst bedenklich auch für den Frieden in Europa“. Gefährlich mache die Aktion schon die mangelnde Definition der Aufgaben. „Gehen wir gegen die Aufständischen vor, oder wollen wir nur Hungernden etwas bringen? Sollen wir als Hilfspolizei agieren? Und wer gibt uns da die Befehle?“ Die linksliberale la Repubblica hätte gerne Klarheit, „was denn passiert, wenn unsere Soldaten reihenweise von albanischen Rebellen angegriffen werden oder von Mafiosi, denen wir ihre Verdienste mit den Flüchtlingen wegnehmen – schicken wir dann noch mehr Soldaten hin?“ Diese besorgte Frage speist sich aus den schmählichen Erfahrungen in Somalia 1992–1995 ebenso wie aus dem amerikanischen Vietnamdesaster, als zum Schutz der angereisten „Berater“ immer mehr Soldaten hingeschickt wurden und danach „Soldaten, um die dort befindlichen Soldaten zu schützen und so weiter“, wie il manifesto erinnert.

„In Mogadischu hat sich derlei schon aufgrund der Entfernung für uns von selbst ausgeschlossen“, meint La Malfa dazu, „aber Albanien scheint vielen von uns so nahe, daß man das wagen könnte...“ Gerade die herausragende Rolle, die Italien nun bei der Aktion einnimmt – „im Grunde eine fast ausschließlich italienische Sache, mit magerer Feigenblattabdeckung durch ein paar andere Länder“ –, wird „alles, Gelingen oder Scheitern, an uns und unserem Namen festmachen“.

Zwar läßt sich die beabsichtigte Polizeiaktion auf dem Balkan nur schwer mit der im seinerzeit vom Massenhungertod bedrohten Somalia vergleichen – riskant und unabwägbar ist der Balkaneinsatz gleichwohl. Die Erinnerung an den Dilettantismus in Somalia ist ausgesprochen lebendig, und es gibt wenig Hoffnung, daß der Dilettantismus inzwischen geringer geworden ist. In Mogadischu hatte die von der UNO gebilligte Mission „Restore hope“ unter US-Führung 1992 zwar zunächst etwas Entspannung gebracht, weil viele Hilfsgüter verteilt wurden; doch am Ende, 1995, mußten die Polizeitruppen gedemütigt und zu Paaren getrieben abrücken – wobei die Italiener, die sich stets bester Landeskenntnis gerühmt hatten (schließlich hatten sie das Land lange als Kolonie gehalten), besonders häufig in Hinterhalte gerieten. Entschuldigung damals: Hätte man uns die Führung anvertraut und nicht verblendeten, arroganten Amerikanern und Franzosen, wäre alles besser gelaufen; wir hätten die Kriegsfürsten reihenweise gefangen. Die anderen UNO- Kontingente sahen das genau andersherum: Italien habe stets ein Doppelspiel getrieben und die Führer der raubenden Horden eher beschützt.

Jetzt haben die Italiener die Führung. Doch bisher ist eher Schmierentheater denn seriöse Vorbereitung zu sehen. Bisher wurde nicht einmal näher definiert, was die Truppen auf dem Balkan sollen. Zuerst hieß es: „Hilfsgüter verteilen.“ Mittlerweile sollen die Soldaten auch „Polizeifunktion übernehmen“. Doch in wessen Auftrag, ist wieder unklar. „Sollen die Soldaten etwa als Beamte des albanischen Innenministerium fungieren?“ fragt La Stampa. Neuerdings sollen sie „die Demokratie wiederherstellen“ – mit 5.000 Mann, „der Witz des Jahrhunderts“, so die neokommunistische Liberazione.

Die Lustlosigkeit der anderen an der Mission mitwirkenden Länder zeigt sich schon an ihren geringen Kontingenten. Die Griechen, die gern mehr geschickt hätten, stehen im Verdacht, vom Osten her genau dasselbe wie Italien zu wollen, nämlich den eigenen Einfluß auf dem Zentralbalkan auszudehnen und vielleicht die leidige Makedonienfrage wieder ins Spiel zu bringen. So blockten die Italiener ab. Das griechische Kontingent allerdings wird nun wohl im Süden stehen, und Verteidigungsminister Andreatta sieht dies als „besonders üble Folge der miesen Presseberichterstattung“, denn genau da, im Gebiet um Vlora, wollten ja die Italiener für Schutz und Ordnung sorgen. Ministerpräsident Romano Prodi, dessen Regierung in der gesamten Angelegenheit noch keinerlei Kontur gewonnen hat, brüstet sich inzwischen vor allem damit, daß es „im Parlament einen breiten Konsens zur Aktion gibt“. Dabei übergeht er stillschweigend, daß ihm mit den Grünen und den Neokommunisten zwei Koalitionspartner bereits die Gefolgschaft aufgekündigt haben und er für die notwendige Zustimmung in den beiden Kammern auf die Rechtsopposition einschließlich der aus den Neofaschisten hervorgegangenen Nationalen Allianz zurückgreifen muß. Das Abgeordnetenhaus wird am Dienstag, der Senat am Donnerstag nächster Woche abstimmen, bevor am Wochenende darauf die Soldaten entsandt werden.

Hilfsweise läßt Prodi inzwischen durch seinen UNO-Botschafter streuen, daß die ganze Aktion ja im Grunde sowieso einen ganz, ganz anderen Zweck habe: „Wenn wir diese Mission erfolgreich beenden, wird unser Standing im Sicherheitsrat so stark, daß uns kaum jemand mehr den permanenten Sitz in diesem Gremium verwehren kann“ – Traum jeder italienischen Regierung seit Jahrzehnten. Und statt den ungewöhnlichen Vorgang als Warnzeichen anzusehen, rühmt sich der Bortschafter Francesco Paolo Fulci, daß er „die Stellen im Glaspalast von New York allesamt innerhalb von nur neun Stunden von der Notwendigkeit der Eingreiftruppe überzeugt“ habe, „ein Weltrekord“.

Daß dahinter sowohl Gleichgültigkeit der anderen Länder stehen könnte wie auch die Haltung „nun, dann verbrennt euch mal schön die Finger“, kommt offenbar weder Prodi noch Fulci in den Sinn.