■ Vorschlag
: „Bells and Trains“ von Yehuda Amichai im Friends of Italian Opera

Henrietta wartet lieber. Wer weiß, kann sein, Robert kommt eines Tages zurück, und sie ist nicht da, ihn willkommen zu heißen. Also warten. Vierzig Jahre nun schon. So lange ist es her, daß sie Robert in einem deutschen Konzentrationslager geheiratet hat. Drei Tage nach der Heirat war er verschwunden. Seitdem wartet sie. Henrietta wohnt in einem Altersheim für jüdische Überlebende des Holocaust in Würzburg. Sie hat sich in ihren Erinnerungen eingerichtet, wie alle Bewohner des Heimes. Eingerichtet oder eingesperrt? Die wichtigste Frage, die das Stück des 1936 aus Deutschland geflohenen israelischen Autors Yehuda Amichai aufwirft.

Haben sie sich bequem eingerichtet, all die mit der Zeit verstummten Bewohner im „House of Ghosts“, wie es Hans, der nach Israel ausgewanderte Neffe Henriettas, nennt? Oder könnten sie ihre Erinnerungen einfach aufgeben und das Opferheim verlassen? Hans, den die plötzliche geballte Erinnerung an die Kindheit bei seinem Besuch schier erdrückt, versucht seine Tante Henrietta zur Flucht – ja, Flucht – aus dem Gespensterhaus zu überreden. Hinaus ins Leben, fort mit der Vergangenheit und weit weg mit ihm nach Israel. Doch Henrietta kann nicht fort. Sie muß ja noch auf Robert warten. Und sie ist die einzige, die noch etwas zu hoffen hat im Heim, die noch von Zukunft träumen kann, auch wenn diese nur in der Vergangenheit liegt.

An dramatischer Entwicklung fehlt dem Stück, das letzten Freitag in dem kleinen englischsprachigen Theater „Friends of Italian Opera“ unter der Regie von Herzel H. Jacoby Premiere hatte, leider so ziemlich alles. Nach den ersten zehn Minuten weiß man recht genau über Aussage und Problematik Bescheid. Dann kommt nichts Neues und keine Überraschung mehr. Das Stück (das eigentlich als Hörspiel geschrieben wurde) lebt vor allem von den großen schauspielerischen Leistungen der Ensemblemitglieder des „Common Basis Theater“ aus New York, das einen Monat in Berlin gastiert. Wobei Marcia Haufrecht, die Gründerin des Theaters, als Henrietta alle anderen Beteiligten etwas in den Schatten spielt. Sie vor allem ist wirklich glänzend, sie weint und wütet, trauert und zittert und ist so rührend ängstlich und besorgt – voller ernster Hoffnung auf den großen Tag der Rückkehr ihres Mannes. Volker Weidermann

„Bells and Trains“, bis zum 27.4., täglich, außer mittwochs, um 20.30 Uhr im Friends of Italian Opera, Fidicinstraße 40, Kreuzberg