Nur eine Bachstelze

Der Sender, der kein Nachrichtenkanal sein durfte: Heute startet „Phoenix“ und verspricht „das ganze Bild“ – doch kaum einer kann es sehen  ■ Von Lutz Meier

Wenn Phoenix kommt, wird Legende strapaziert. Schon des mythischen Namens wegen. Rein in die Asche, raus aus der Asche, das schien das Prinzip bei der Geburt des neuen „Ereignis- und Dokumentationskanals“ von ARD und ZDF, dessen heutiger Start mehrfach auf der Kippe stand. Irgendwer hatte das Projekt vorausahnend auf den Namen des Mythenvogels getauft, der sich immer wieder selbst im Feuer zerstört, um neugeboren der Asche zu entsteigen. Doch tatsächlich verbindet den Sender mit dem Mythos nur so viel, daß die Fähigkeit zur Selbstzerstörung in den öffentlich-rechtlichen Sendern groß ist. Wenn sie Neues gebären wollen, vertrauen ARD und ZDF hingegen in jeder Hinsicht den ganz alten Maximen. Kaum etwas offenbart das deutlicher als das Phoenix-Programm.

„Wir zeigen das ganze Bild“, versprechen dagegen die Programmacher. Nicht mehr mit den üblichen Anderthalbminutenschnipseln, die die Nachrichtensendungen von Parlamentsdebatten, Kanzlerspatenstichen und Historikerfestakten bringen, müsse sich der Zuschauer künftig zufriedengeben. Bei Phoenix kann er davon täglich bis zu siebeneinhalb Stunden bekommen. Das allein, glaubt Phoenix-Chef Klaus Radke, „wird Zuschauergewohnheiten verändern“. Ob die Ereignislage dafür überhaupt ausreicht, darum hatte es ein bißchen Verwirrung gegeben. So viel passiere gar nicht, hatten Skeptiker geunkt. Im Gegenteil, war die Antwort der Planer. Dann aber hatten sie den Sendestart um eine Woche verschoben. Begründung: „Ereignisarme Zeit.“ Nun startet Phoenix mit der „Verleihung der Ehrendoktorwürde der Universität Tokio an Bundespräsident Roman Herzog“ (heute), dem DGB-Beschäftigungsgipfel (Mittwoch) und der Verleihung des Theodor-Heuss- Preises an Ralf Dahrendorf (Samstag). Soweit das Neue bei Phoenix.

Drum herum Altbekanntes: Ein Halbrund aus Holz und Alu steht seit Mittwoch im Kölner Phoenix- Studio. Davor vier Stühle für vier Experten. Solche werden, „ereignisbezogen“, wie es heißt, einen weiteren Teil der Sendezeit füllen. Darunter den wichtigsten: Die Prime time gehört derlei Runden. Später einmal sollen auch die Zuschauer telefonisch dabeisein. Aber erst, wenn der Kanal auch Zuschauer hat.

Die restliche Sendezeit wird aus dem Keller gefüllt. Wer einmal wieder erleben möchte, wie Altreporter Peter Scholl-Latour seinen Tee aus Geschoßhülsen schlürft oder wie Wolfgang Schäuble im Bundestag für Berlin plädiert, wer „Hitlers Helfer“ nicht auf Video hat oder die Produkte der ARD- Auslandskorrespondenten im Paket sehen will – solche Wünsche werden bei Phoenix satt bedient. Neue Dokumentationen wird es bei Phoenix nämlich nicht geben – das Geld fehlt.

Der Trailer des Mythensenders erzählt von Ägypten und von der griechischen Antike und schwelgt vom Mythenvogel: „eine Bachstelze nur, doch mit magischen Kräften“. Das Programm spricht eine ganz andere Vorzeit an. In einer Zeit, wo die Autorität öffentlicher Institutionen rasant zu schwinden scheint, wird noch einmal ein Ereignisbegriff beschworen, der sich weitgehend aufs Institutionelle beschränkt: Parlamente, Gewerkschaften, Handelskammern generieren Phoenix-Ereignisse. „Phoenixtypische Ereignisse sind solche, wo debattiert, wo geredet wird“, so Phoenix-Chef Klaus Radke (WDR).

Einen „Markenartikel der umfassenden Information“ verspricht Kollegin Barbara Groth (ZDF). Doch ein wirklicher Informationskanal durfte Phoenix nicht werden, weil Unionspolitiker öffentlich- rechtliche Konkurrenz für das private Programm ntv verhindern wollten und den Sendern der Mut fehlte, eine solche auch gegen den Willen der Politik durchzusetzen, deren Vertreter ihre Rundfunkräte durchwirken. In vielem wurde Phoenix nicht entlang den Bedürfnissen der Zuschauer geplant, sondern entlang denen der Parteienvertreter, denen der Wunsch nach einem zweiten öffentlich-rechtlichen Spartenkanal überhaupt nur mit dem Argument schmackhaft zu machen war, ein Parlaments- TV würde ihnen eine Plattform bieten. Nicht mal eine zeitversetzte Ausstrahlung von „Tagesthemen“ oder „heute“ scheint möglich.

Trotzdem: „Wir haben wunderschöne Ideen“ versichert Barbara Groth, aber „wir können uns das alles nicht leisten“. Die 14 Pfennig, die jeder Gebührenzahler für den neuen Sender zahlt, machen nicht einmal die Hälfte des Budgets des ebenfalls knappgehaltenen Kinderkanals aus. Ohnehin werden nur wenige die Früchte ihres Obolus genießen können: Zunächst ist der Sender nur im Kabelnetz von Bremen. Hätte man nicht noch in letzter Minute einen Platz auf dem Satelliten Astra 1D gemietet, der immerhin knapp 6 Millionen Schüsselbesitzer erreicht, von 17 bis 20 Uhr hätte man sogar für niemanden gesendet (da ist ein Lokalsender im Bremer Kabel).

„Ist das nun gut oder ist das schlecht?“ fragt bang ein Phoenix- Redakteur die Chefin, als er von der Satelliten-Entscheidung erfährt. „Selbstverständlich gut“, antwortet Groth. Doch so ganz wohl scheint den Programmachern, die den Kanal nach den Politquerelen in kürzester Zeit aufbauen mußten, bei dem Gedanken noch nicht zu sein, daß sie nun richtige Zuschauer haben werden.