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: Auftrag: Realität toppen

„Tatort – Liebe, Sex, Tod“, So., 20.15 Uhr, ARD

Typisch Deutschland: Im Wohnblock rechts spielt der einsame Exbulle mit ein paar Eiswürfeln in der Brustmatte „9 1/2 Wochen“, gegenüber gebärdet sich die Nachbarin vor dem Spiegel wie Robert De Niro alias „Taxi Driver“, und draußen herrschen wieder mal hirnerweichende 35 Grad. Der Psycho- Acker für den „Tatort“ war nach fünf Minuten bestens bestellt.

Doch Schwabing ist nicht die Heimat von Jeffrey Dahmer, die Münchener Kripo nicht das FBI und der durchschnittliche Krimi- Rezipient auch am Sonntag abend noch nicht so weggetreten, daß er einen vom Bayrischen Rundfunk geschminkten Transsexuellen nicht sofort erkennen würde – wodurch einem der Spaß am Mitermitteln natürlich gehörig verdorben war. Und weil die Zuschauer schon wußten, wer da das Leben seiner Schwester weiterführt und sexuell verklemmt mit dem Kastriermesser durch den Plot schleicht, wurden die Mundart-Kommissare Batic und Leitmayr regelrecht vorgeführt, wie sie da durch das Klischee der spießbürgerlichen Sadomaso- Szene stolperten.

Christian Jeltschs „Tatort“ war beispielhaft für zwei Trends auf dem öffentlich-rechtlichen Revier: erstens die unbedingte Personalisierung der Ermittelnden durch Marotten, Hobbys oder Liebschaften (weshalb diesmal Barbara Rudnik als Gerichtsmedizinerin für eine bleierne Menage à trois aus der Kulisse treten durfte), und zweitens die fast zwanghafte Pathologisierung der Täter. Natürlich dürfen sich auch „Tatort“-Regisseure Hollywood-Filme anschauen und sogar davon inspirieren lassen – sie aber ständig als Blaupause für die eigene Arbeit zu mißbrauchen ist schlichtweg unverschämt und meistens hölzern anzuschauen: als würde man mit der Augsburger Puppenkiste „Das Schweigen der Lämmer“ nachspielen mit Jim Knopf in der Rolle des Hanibal Lector.

Und getrieben von der Sehnsucht, Deutschland möge endlich eine einzige forensische Abteilung sein, versuchen die Regisseure ständig, Realität bis in die Nebenrollen hinein zu toppen. Da muß selbst der Schmetterlingssammler aussehen wie der kleine Bruder von Ernst Jünger. Würden hierzulande tatsächlich dermaßen viele Psychopathen herumrennen, hätte selbst Eduard Zimmermann längst die Nerven verloren. Oliver Gehrs