Aprikosen für Europäer

■ Sympathisch, kurzweilig und hübsch illustriert. Jacques Le Goff erzählt jungen Leuten die Geschichte Europas

Der große Mittelalter-Historiker Jacques Le Goff hat ein Europa-Büchlein für junge Leute geschrieben, „L'Europe racontée au jeunes“, nichts Gewichtiges, sondern im Essaystil, informativ und kurzweilig, Elementares und Kurioses appetitlich durchmischt. Voller merkenswerter Daten und Fakten und Formulierungen.

Über die Grenzen von Europa und Asien und den Austausch der Kulturen. Über griechische Ärzte und römische Bürger. Über Körperkult und Askese. Über die Christentaufe als „Reisepass“ durch Europa. Über Kreuzzüge und Judenverfolgung. Über die Begründung der Demokratie in den Städten und in der Schweiz. Über die Entdeckung Amerikas, des Blutkreislaufs, der Schwerkraft und der Dampfkraft.

Das alles im großen und ganzen chronologisch bis an die Gegenwart herangeführt. Aber natürlich gar nicht systematisch, gar nicht ausgewogen, und mit kühnen Vereinfachungen, vor denen auch Frankreichs stolze Geschichte nicht verschont bleibt. Napoleon? „Ein mißglückter Versuch, Europa zu einigen.“ Mehr nicht. Der europäische Ertrag der Kreuzzüge? Die Aprikose, eine vorher nur im Orient bekannte Frucht. Immerhin. Le Goff bleibt souverän, auch wo er überpointiert.

Ein Werbebüchlein für den europäischen Gedanken und für europäisches Selbstbewußtsein. Europa ist keine Erfindung von Politikern und nicht von deren Beschlüssen abhängig. Es ist ein geographisch und historisch und kulturell zusammenhängender Komplex seit wenigstens 2.000 Jahren, und seit dem Mittelalter sowieso. Man kann es nicht per Beschluß abschaffen oder anschaffen, man kann nur sehen, daß man einigermaßen vernünftig damit umgeht. Das ist die Botschaft für junge Leute (für ältere wohl auch), damit sie sich als Europäer verstehen können.

Das Ganze durchaus mit einem aktuell moralpädagogischen Anflug; auch der Bürgerkrieg im ehemaligen Jugoslawien ist ein Thema, gewissermaßen als Exempel der schrecklichen Folgen von schlecht verarbeiteter Europageschichte. Aber Jacques Le Goff traktiert nicht vom hohen Katheder herunter, er bleibt leicht und leichtverständlich, behält den zappenden Wenig-Leser im Auge und verleitet ihn zum Stöbern und Blättern. Der Campus Verlag hat gut daran getan, der französischen Originalfassung von 1996 (bei du Seuil) schon wenige Monate später eine deutsche Fassung (in der geglückten Übersetzung von Tobias Scheffer) folgen zu lassen. Es war auch eine hübsche Idee, den Text mit alten Kartenausschnitten zu durchsetzen, die Charley Case launig verfremdet hat. Schade nur, daß der deutsche Buchtitel dem teutonischen Hang zur Schwere nachgibt und so tut, als präsentiere er ein Großwerk über „Die Geschichte Europas“. Trotzdem, das Buch ist ein sympathisches Geschenk für viele Gelegenheiten. Hartmut Kugler

„Jacques Le Goff erzählt die Geschichte Europas“. Campus Verlag, Frankfurt/M.; New York 1997, 104 Seiten, 29.80 DM