Als Schriftsteller ein Kämpfer für die „Sache“

■ Der literarische Dienst an der Revolution tat Hermlins Werk nicht unbedingt gut. Aber er war der nachfolgenden Generation eine provokative Identifikationsfigur

„Hört: unter uns hat sich eine seltsame Stimme erhoben / Aus den verzweifelten Wäldern des Zwielichts der Einsamkeit / Aus den verpesteten Wüsten die freudlose Stürme durchtoben / sagt eine ruhige Stimme beständig: Es ist an der Zeit!“

Wohl wahr: Alles wäre ganz einfach, wenn Verse wie dieser alles wären, was Stephan Hermlin nach fünf Jahrzehnten literarischer Arbeit hinterläßt: ästhetizistischer Gips, der partout wie Marmor aussehen sollte. Nähme man dazu noch den politischen Götzendienst der frühen fünfziger Jahre, den Hermlin in Lyrik wie in Prosa gleichermaßen abfaßte, es könnte einem gleich gruselig zumute werden, und der Dichter wäre als Sklavenschreiber schnurstracks abgefertigt. Aber selbst eine so gräßliche Erzählung wie „Die Kommandeuse“, die 1954 in der „Neuen Deutschen Literatur“ veröffentlicht wurde in keiner anderen Absicht als der, die Anstifter und Rädelsführer des 17. Juni 1953 getreu der Verleumdungslegende der Herrschenden als Ex-Nazis und Kriminelle zu denunzieren – selbst ein solches Zeugnis politischer Liebedienerei noch zeigte, daß auch in Hermlins literarischer Biographie nichts einfach war und nichts glatt ging; die SED lehnte das Literaturgeschenk ab, weil dort eine „negative Heldin“ im Zentrum stand, nicht aber ein strahlend vorbildlicher Aufbauheld, wie die Partei ihn sehen wollte und dringend nötig zu haben meinte...

Zahlreiche Konfrontationen mit der politischen Bewegung, der der Gymnasiast Rudolf Leder sich 1931 angeschlossen hatte, um deretwegen er 1936 ins Exil gegangen und 1945 nach Deutschland zurückgekehrt war, gaben nicht nur dem Klassenkämpfer, sondern auch dem Schriftsteller Stephan Hermlin eine Menge zu lernen – und der zog seine Konsequenzen daraus. So ist es denn bei der gipsernen Lyrik sowenig geblieben wie bei den Hymnen auf den gütigen Diktator Stalin. Und die Sanktionierung der realexistierenden sozialistischen Verhältnisse war Hermlins Sache um so weniger, je länger die DDR dauerte.

„...jeder ist Partisan / Und jeder von uns ist einsam auf den verharschten Feldern“: Hermlin verstand sich als Soldat der Revolution, ein „Kämpfer“, der sich als Schriftsteller in den Dienst „der Sache“ stellte, und zwar einer, der noch 1993 im Hinblick auf die ihnen gemeinsame soldatische Schreib-Tugend seine Nähe zu Ernst Jünger bekannte. Der literarische Dienst an der Revolution tat dabei Hermlins Literatur selbst sichtlich nicht gut, während der Homo politicus sich auf der kulturpolitischen Bühne zunehmend derart in die „Kämpfe seiner Zeit“ verwickelte, daß er 1958 zuerst das Gedichteschreiben einstellte und mit dem Band „Abendlicht“ 1979 dann auch seinen letzten langen Prosatext vorlegte.

Anfang der sechziger Jahre hatte er als Sekretär der Sektion Dichtkunst der Akademie der Künste in Ostberlin Lyrikabende initiiert, in denen junge Autoren – darunter etwa Wolf Biermann – der Öffentlichkeit vorgestellt wurden. Hermlin war es auch, der Schriftsteller und Künstler der DDR nach der Ausbürgerung Biermanns zu jener berühmten Petition veranlaßte, deren Unterzeichnung viele von ihnen dann zum Verlassen des Landes zwang.

Und Hermlin bestand den kulturpolitischen Instanzen gegenüber auf dem Recht des Individuums auf freie Entfaltung seiner Fähigkeiten in der sozialistischen Gesellschaft, das auch für die und in der Literatur zu gelten hatte. Er setzte sich für Kafka und Proust, Eliot und Joyce ein und bekannte schließlich auf dem VIII. Schriftstellerkongreß der DDR 1978, er sei ein „spätbürgerlicher Schriftsteller“ und Kommunist: einer, der auf dem „Vorrecht der Dichter, vernunftlos zu träumen“ bestand. In diesem Sinne hat ihm die DDR- Literatur, haben ihm auch einzelne DDR-Autoren viel zu danken: Hermlin war ihr einflußreicher Fürsprecher. Gerade in dieser Eigenschaft aber erscheint er heute schließlich als ein Phänomen deutscher Kultur- und Literaturgeschichte, als Symbolfigur des politischen Irrtums in diesem Jahrhundert: „Ich war nicht besser und nicht schlechter als die Bewegung, der ich angehörte, ich teilte ihre Reife und Unreife, ihre Größe und ihr Elend.“ Frauke Meyer-Gosau