Der Nutzen des Nutzlosen

■ Der Dichter Johannes Bobrowski wäre heute achtzig Jahre alt geworden

Er wollte 125 Gedichte schreiben, sie auf drei Bücher verteilen und sich dann zum Sterben legen: Johannes Bobrowski, 1917 in Tilsit geboren, Kirchenmusiker, Lektor im Brotberuf und Lyriker auch in der Prosa.

Tatsächlich sind seine drei Gedichtbände zwischen 1961 und 1966 erschienen. Zuerst – sensationellerweise in Stuttgart und der Hauptstadt der DDR gleichzeitig – der Band „Sarmatische Zeit“, der Bobrowski in beiden Deutschländern auf Anhieb zum gefeierten Lyriker machte; zwei Jahre später dann „Schattenland Ströme“. Als jedoch 1966 die dritte Sammlung unter dem Titel „Wetterzeichen“ herauskam, war Johannes Bobrowski schon ein Jahr lang tot: 1965 ganz plötzlich gestorben in Köpenick, an einem Blinddarmdurchbruch.

Eine schnelle, steile und kurze Karriere – so schien es jedenfalls von außen. Als Bobrowski 1962 zum zweiten Mal an einer Tagung der Gruppe 47 teilgenommen hatte, wurde ihm der begehrte Preis der Gruppe zugesprochen, fast ein Garantieschein für eine gesicherte Position im BRD-Literaturbetrieb. Veröffentlicht aber hatte er bis zum Erscheinen seines ersten Gedichtbandes genau sieben Oden und einen Vierzeiler, 1943 in der Zeitschrift das Innere Reich. Zwölf Jahre darauf folgte dann die „Pruzzische Elegie“ in Huchels Sinn und Form, und noch einmal sechs Jahre dauerte es, bis endlich die „Sarmanische Zeit“ erscheinen konnte.

Dann aber ging alles ganz rasch und womöglich sogar viel zu schnell. Bobrowski begann auch Prosa zu veröffentlichen. Zu den Gedichten kamen nun noch die Romane „Levins Mühle“ (1964) und „Litauische Claviere“ (1967) sowie etliche Erzählungen hinzu (aus dem Nachlaß tauchten 1977 die bitterbös-ironischen Xenien aufs kapitalistische und realsozialistische Literaturwesen auf, „Literarisches Klima“ betitelt, ein Bestiarium der deutschen Gegenwartsliteratur).

Ob er aber den Preis der Gruppe 47 oder den Heinrich- Mann-Preis der Akademie der Künste (DDR) erhielt – Johannes Bobrowski, der erste DDR-Autor, dessen Texte alle gleichermaßen in Ost- wie Westdeutschland erschienen und der sich jeden Versuch politischer Vereinnahmung vom Halse zu halten versuchte –, letztlich blieb er doch immer bei seinem Gegenstand, dem, was ihm am nächsten war: bei den Deutschen und ihrer Rolle im europäischen Osten und bei der Beschreibung der Natur, die er nicht anders sehen konnte als von den Spuren einer gewalttätigen Geschichte gezeichnet.

Mit seiner „Beschreibung eines Zimmers“ hat der Schriftsteller und Verleger Gerhard Wolf vor vielen Jahren ein poetisches Buch über seinen Dichter-Freund geschrieben, das sehr subtil, vorsichtig und genau ein Bobrowski-Porträt entwirft. Im Westen wiederum war Klaus Wagenbach Bobrowskis wichtigster Verleger, Freund und Ratgeber. Beide werden sich nun in einer Veranstaltung des Literarischen Colloquiums mit Konrad Franke an diesen deutsch-deutschen Dichter erinnern, der am 9. April 80 Jahre alt geworden wäre.

„Gedichte – eine nutzlose, private Sache“, hatte Bobrowski 1959 konstatiert. „Wirkungslos. Nur: man muß es so ordentlich wie möglich tun.“ Ohne seine Unbeirrbarkeit in Fragen der Form hätten es die jüngeren Autoren der DDR- Literatur zweifellos noch schwerer gehabt. Frauke Meyer-Gosau

Bobrowski-Abend, morgen, 20 Uhr, Literarisches Colloquium, Am Sandwerder 5, Wannsee