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Köpenick dreht den „Hauptmann“

Mit Harald Juhnke in der Titelrolle verfilmt Frank Beyer am historischen Ort den „Hauptmann von Köpenick“. Das Rathauspersonal muß umziehen, die Berliner kommen gucken. Böse auf Juhnke ist niemand mehr  ■ Von Jens Rübsam

Herr Wiener hatte die Zeitung gelesen. Harald Juhnke, stand da Anfang Februar geschrieben, habe sich wieder einmal danebenbenommen. An einer Hotelbar in Las Vegas zwei Flaschen Wodka verschluckt, im Foyer der Hollywood- Nobelabsteige „Mondrian“ ein bißchen Rabatz gemacht, gut, das wäre noch zu verzeihen gewesen. Aber einen Schwarzen attackieren? „Dreckiger Nigger“ soll Juhnke zu dem Wachmann Robert Ferrell gesagt haben. Wie im Rausch brüllte Bild am Sonntag alles raus: „Hitler hatte doch recht – so etwas hätte man früher vergast.“

Herr Wiener wollte mal nachfragen, wie das nun ist mit den Dreharbeiten zum Film „Der Hauptmann von Köpenick“. Als Abgeordneter im Köpenicker Bezirksparlament und als PDSler sowieso ist er um den guten Ruf des „grünsten Stadtteils von Berlin“ besorgt. Also formulierte er eine Anfrage: Wird das Bezirksamt das Rathaus auch dann für die Filmarbeiten zur Verfügung stellen, wenn sich die Vorwürfe gegen Juhnke wegen der rassistischen Äußerungen als richtig erweisen sollten?

Nun laufen die Dreharbeiten für den vier Millionen Mark teuren Streifen „Der Hauptmann von Köpenick“, frei nach Carl Zuckmayer. Erstmals wird die Militärklamotte unter der Regie von Frank Beyer am Originalschauplatz verfilmt, im Rathaus Köpenick, wo am 16. Oktober 1906 der verarmte Schuster Wilhelm Voigt die preußische Ordnung durcheinandergebracht hatte.

Für zehn Tage ist das Köpenicker Rathaus nur durch den Hintereingang zu erreichen, für Außenaufnahmen wird die Altstadt gesperrt, die Spielothek wird zu einer Rind- und Schweineschlächterei, der Computerladen zu einem Sunlicht-Seifen-Geschäft, die Schaulustigen drängeln sich am Straßenrand, und die Komparsen posieren im Ausgehrock. Und im Bürgermeister-Filmbüro sitzt Harald Juhnke und gibt zu Protokoll, die Geschichte um den „Hauptmann von Köpenick“ habe durchaus etwas mit dem Heute zu tun: „Wer keine Wohnung hat, kriegt keine Arbeit, wer keine Arbeit hat, kriegt keine Wohnung.“

So ist das also.

Karin Mittdank hat erst seit einer Woche wieder eine Stelle, als Verkäuferin im Spreewald-Lädchen gegenüber vom Rathaus. Zwei Jahre war sie arbeitslos. Am Ende konnte sie die Miete nicht mehr bezahlen. Für die Arbeit ist sie von Hohenschönhausen nach Köpenick gezogen. „Ich bin froh, wieder etwas tun zu können.“ Bei den Dreharbeiten kann sie deshalb nicht zugucken. Sie muß Gurken verkaufen, saure und salzige, und den 21,7prozentigen Likör, nach original Spreewald-Rezept.

Der historische Wilhelm Voigt hatte einen anderen Ausweg aus der Arbeitslosigkeit gesucht: Gerade aus dem Zuchthaus entlassen, fand er sich in der preußischen Beamtenmühle wieder: keine Arbeit, keine Aufenthaltsgenehmigung, keine Aufenthaltsgenehmigung, keine Arbeit. Da besorgte er sich die Uniform eines kaiserlichen Offiziers, zog raus in das betuliche Berliner Vorstädtchen Köpenick, dirigierte die dortige Wachgarde nach Gutdünken und nahm schließlich den Bürgermeister Langerhans und den Kassenbeamten fest – und die Stadtkasse mit 4.000 Mark und 37 Pfennig nahm er mit. Ganz Preußen lachte Anfang des Jahrhunderts über den Gaunerstreich, und die Köpenicker freuen sich noch heute über ihren „Hauptmann“.

Kerstin Kiste, die Leiterin des Fremdenverkehrsamts: „Wir setzen in unserer Werbung voll und ganz auf den Hauptmann.“ „Hauptmann“-Weine für 9,50 Mark, „Hauptmann“-Bierkrüge und „Hauptmann“-Büsten, „Hauptmann“-Videos und „Hauptmann“-Führungen durch die Altstadt von Köpenick. Heidi Schönfeld, die Pressefrau des Bezirksamts, meint: „Von diesem Film versprechen wir uns einiges, vor allem touristischen Aufschwung.“

Und dann im März diese Anfrage der PDS! Der Mietvertrag mit der Hamburger Produktionsfirma wäre unterschrieben, daran müsse man sich halten, beschied Bürgermeister Klaus Ulbricht (SPD) das Köpenicker Parlament. Gleichwohl distanzierte sich das Bezirksamt von den Äußerungen Juhnkes, sprach „den Fall“ mit der Produktionsfirma durch und rang sich schließlich zu der Feststellung durch: Der Film sei kein Juhnke- Film, sondern ein Zuckmayer- Film. Der Vertrag sei nicht an Personen gebunden. Und immerhin wird durch die Vermietung der Rathausbüros die Bezirkskasse aufgebessert: Diesmal bringt „Der Hauptmann von Köpenick“ Geld mit, rund 14.000 Mark.

Dafür mußte Heidi Schönfeld letzte Woche ihre „historische“ Pressestelle räumen. Sie sitzt während der zehntägigen Dreharbeiten zwischen lustig gestapelten Kartons einen Stock tiefer. Helmut Wahlstab, der Planungsbeauftragte des Bürgermeisters, braucht jetzt etwas länger, um seine Pläne zu finden. Er mußte mit seinen Akten ins Erdgeschoß umziehen, „aber das nehme ich gern in Kauf“. Der Sitzungssaal ist zur Gefängniskapelle umfunktioniert worden, und die Treppenstufen im Rathaus wurden braun angestrichen, „weil weiße Treppenabsätze eben nicht passen“. Zwei Laternen auf der Straße sind abgeschraubt worden, „weil die nicht in die Zeit gehören“. Das erst im Oktober zum neunzigjährigen Jubiläum der Köpenickiade aufgestellte Bronzedenkmal des „Hauptmanns von Köpenick“ vor der Rathaustür mußte abmontiert und ins Heimatmuseum gebracht werden. Die Kosten trägt die Produktionsfirma, die Beschwerden der Touristen, die extra wegen des neuen Wahrzeichens nach Köpenick kommen, nimmt der Rathausportier entgegen.

„Es ist schon etwas Besonderes“, schmunzelt Heidi Schönfeld, „wenn hier im Haus gefilmt wird. Sie wissen ja, Verwaltungsarbeit ist im allgemeinen sehr trocken.“ Den Wunsch einiger Rathausbediensteter, wenigstens als Statisten im Film mitspielen zu dürfen, konnte Regisseur Beyer jedoch nicht erfüllen.

Die Anti-Juhnke-Welle ebbte so schnell ab, wie sie gekommen war. Die ARD schmuste wieder mit Deutschlands öffentlich-rechtlichstem Säufer, Premiere zeigte sich unverschlüsselt versöhnlich, das österreichische und Schweizer Fernsehen hatten sowieso nichts gegen „Barfuß oder Lackschuh“- Juhnke, alle zusammen gaben grünes Licht für die Gemeinschaftsproduktion. Und auch die Köpenicker PDS sah nicht mehr rot.

Also Klappe, Ende des Lamentierens – und Film ab! Und Juhnke versicherte den längst versöhnten Presseleuten einmal mehr: „Klar, ich halte durch. Ich drehe den Film ohne Zwischenfälle zu Ende, den ,Trinker‘ von Hans Fallada habe ich doch auch durchgestanden.“

Das Volk hat Harald Juhnke sowieso längst verziehen, wie es ihm immer verzeiht. Ob er nun trinkt, ausrastet, Veranstaltungen schwänzt, sich ein Betthupferl sucht und sich halbnackt im Bademantel fotografieren läßt oder, wie in Las Vegas, irgend etwas Dummes lallt. Roney Friend, der Köpenicker Rathausportier, ist ganz hin: „Herr Juhnke kam hier rein und hat alle freundlich begrüßt.“ Juhnke sei eben ein hervorragender Schauspieler, „sein Privatleben sollte man ausblenden“.

Udo Latus, Mitarbeiter in der Bezirkskasse, mag Juhnke als Schauspieler. Manchmal wundert er sich, daß der noch Rollen kriegt. Senta Franz ist extra zum Juhnke- Gucken ins Rathaus gekommen. Vielleicht mag sie ihn ja auch nur deswegen, weil sie mal jemanden kannte, der Juhnke hieß, einen Melker aus Berlin-Lichtenberg.

Ein „kranker Mensch“ ist Juhnke hingegen für Helga Walter, die Sozialstadträtin von Köpenick. Der Mann habe scheinbar noch nie ein solches Tief erlebt, daß er Konsequenzen aus seinem Alkoholkonsum ziehen mußte. „Es ist ein Jammer, daß sich jemand mit einem solchen Können derart sein Gehirn ruiniert.“ Helga Walter ist vom Fach, sie berichtet von einem Projekt des Alkoholiker-Kreises Köpenick: Ehemals Alkoholabhängige helfen Alkoholabhängigen. Erste Erfolge seien zu verzeichnen.

Und die eigentliche Problematik, die hinter der Geschichte vom „Hauptmann von Köpenick“ stecke, sei doch ohnehin die Suche nach Arbeit, damals wie heute: In Köpenick seien schließlich auch 7.661 Menschen arbeitslos gemeldet, „nicht eingerechnet diejenigen, die noch in einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme oder einer Umschulung beschäftigt sind“. Fast die Hälfte der Köpenicker Bevölkerung sei älter als 45 Jahre, in einem für den ersten Arbeitsmarkt „problematischen Alter“. Was, fragt Sozialstadträtin Walter, soll ein Mensch machen, wenn er sich nicht mehr gebraucht fühlt? Nein, bei den Dreharbeiten im Haus hat sie nicht vorbeigeschaut. „Es gibt wahrlich Wichtigeres zu tun.“

Anders Blagoy Itscherensky, er spielt mit. Im Film ist er ein vornehmer Herr; im Leben war er Schauspieler, und nun ist er 73 und Rentner und ab und an Komparse. Bei 1.300 Mark Rente, 500 Mark Miete für eine kleine Marzahner Neubauwohnung, „da ist man froh, sich was dazuverdienen zu können“. Und wenn es auch nur 120 Mark sind, die die Produktionsfirma für einen Tag Komparsesein zahlt. Und Harald Juhnke? Wie findet der alte Schauspieler den Hauptdarsteller? „Er ist für die Rolle des Hauptmanns geboren“, sagt Blagoy Itscherensky. Oder anders gedacht: „Die Rolle ist für ihn geschrieben worden.“

Klaus Wudewitz, der Kontaktbereichsbeamte für die Köpenicker Altstadt, von den Touristen auch gern „der Hauptmann“ genannt, hat da seine Zweifel: „Juhnke ist mit seinen einsachtzig einfach zu groß für den Hauptmann.“ Wilhelm Voigt war gerade mal einsachtundsechzig.

Und damit zu klein für das neuaufgestellte Bronzedenkmal am Rathaus. „Weil die Figur so mickrig war, wurde Voigt ein bißchen größer gemacht“, sagt Klaus Wudewitz, der heutige „Hauptmann“. Noch ein Köpenicker Gaunerstreich.

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