Zerbrochener Rohrstab

■ USA–Israel: Clinton gibt Netanjahu freie Hand

Vor 2.600 Jahren vertrauten die Einwohner Jerusalems auf die damalige Großmacht Ägypten. Der assyrische Feldherr, der die Stadt belagerte, verhöhnte den König von Judäa: „Auf wen verläßt du dich denn? Verläßt du dich auf diesen zerbrochenen Rohrstab, auf den ägyptischen König, der jedem, der sich darauf stützt, in die Hand dringen und sie durchbohren wird?“

Dasselbe können die Friedenskräfte in Israel und Palästina nun über Clinton, den König von Amerika, sagen. Clinton ähnelt diesem Rohrstab, der, wie in der Bibel, blutigen Schaden anrichten kann. Seit die Bulldozer in Har Homa am Werk sind, waren die USA die letzte Hoffnung für den Friedensprozeß. Nur offener, massiver Druck aus den USA hätte es Netanjahu erlaubt, die Arbeiten einzustellen, ohne daß die Rechtsradikalen in seiner Koalition ihm Verrat vorgeworfen hätten. Doch Clinton lächelte und ging auf Netanjahus Propagandaparole ein, daß die palästinensische Gewalt die Ursache und nicht die Folge der Krise sei, die Netanjahus Attacke auf das arabische Ost-Jerusalem hervorgerufen hatte.

Niemand weiß, was Bill „Bibi“ privat versprochen hat. Aber die öffentlichen Aussagen sprechen Bände: Netanjahu erklärte, daß die Arbeiten auf Har Homa weitergehen, Al Gore sagte, daß sich keiner von außen in die (nichtexistenten) israelisch-palästinensischen Verhandlungen einmischen darf. Das heißt: Netanjahu kann tun, was er will.

Dessen letzte Finte ist es nun, die Verhandlungen über den „endgültigen Status“ sofort zu beginnen und die Interimsphase zu überspringen. Das hört sich wunderbar an, ist aber doppelter Betrug: Erstens, weil diese Verhandlungen, laut Vertrag, schon im Mai 1996 hätten beginnen sollen (was Israel einfach ignorierte), und zweitens, weil der einzige Sinn des Manövers ist, den im Vertrag vorgeschriebenen weiteren Rückzug Israels aus dem Westjordanland zu vermeiden. Die USA haben diesen Vertrag mit unterschrieben.

Die Folgen des US-Versagens können katastrophal sein. 49 Prozent der Palästinenser bejahen neuerdings Gewalt gegen Israel – ein gefährlicher Umschwung, der das Ausmaß der Wut zeigt. Auch Arafat kann das nicht ignorieren. Daß in Washington nun nichts herauskam, wird diese Wut noch schüren. Für den Frieden ist das ein Unglück. Uri Avnery Bericht Seite 8