Dee Diva lebt

■ Seelen gucken, Zombies füttern und Engel befreien – das Theaterpublikum folgte Georgette Dee überall hin

Was hat Georgette Dee, das andere Menschen nicht haben? Auf jeden Fall das: Ihr fliegen, scheint's, unendliche Sprachwelten zu für die Beschreibung jenes Zustandes, in dem das Gros der Menschheit gerade mal drei Worte hervorbringt. Und so eilen die Menschen zuhauf, um von dem Mann in Frauenkleidern zu hören, wie es sich verhält mit der Liebe, den süßen Vor- und oft so bitteren Nachspielen. Ausverkauft war am Dienstagabend das Goethe-Theater, wo Deutschlands beste Diseuse gemeinsam mit dem Pianisten Terry Truck das neue Programm „Lichterloh“vorstellten.

Kein Gummibusen, kein Plüschglamour, kein Glitter. Stattdessen ein schlabbriges Jackett über einem schwarzen Kostüm – das Motto des Abends kontrastierend erschien Georgette Dee in dezentem Grau. Lediglich die Lippen, diese Lippen in dem ansonsten ungeschminkten Gesicht, warnten blutrot vor der ruhelos scharfen Zunge, über welche unaufhörlich die sorgsam geschnittenen Wortbilder perlten wie Sekt.

„Ich lege keinen Wert auf Wert, ich habe nie verkehrt verkehrt“, begann Georgette unter donnerndem Eingangsapplaus mit der „Ballade vom Jungsein“. Besser, scheint sie zu denken, man thematisiert das Älterwerden selbst, bevor ein anderer die Falten zählt. Schließlich entkommt diesen, Lifting hin oder her, auch eine Diva nicht. Und so erzählt sie von den Morgenden, an denen sie, „allein an die Strände des Lebens geworfen“, trotzig ein neues Feuer entfacht. Darauf sie ihre Erfahrungen wirft, Erinnerungen, alte Socken und ein Täßchen Herzblut, „das fackelt gut“. So bilden sich sieben Falten zurück. Sie haben gemerkt, sie wären nicht nötig gewesen. Und aus dem geglätteten Meer steigt eine „taufrischer tropfnasser Tiefseetaucher“...

Das Verwirrspiel der Hormone ab Mitte 30 produziert indes bekanntlich auch den umgekehrten Fall: Man wacht auf wie ein Phoenix aus der Asche, leuchtend liegt die Zukunft vor dir. Doch klammheimlich schleicht die Ratio ins Zimmer und stellt einen riesigen Strauß Neurosen auf der Kommode ab. Da merkt man, daß man selbst schon Asche ist, bekennt Georgette und ringt, „emotional verqualmt“, um Luft.

Nachdem der Wind ihr voll und wohltönend ein Lied erzählt hat, macht die Einsamkeit sogar Spaß, „man muß das nur kultivieren“. Bei einem Glas Wein zu Hause auf dem Sofa zum Beispiel. Gefährlich jedoch wird es, wenn sich der Schlaf danebenhockt, weil er nicht in dich eindringen kann. Dann, da kannst du sicher sein, wuseln kichernd bald auch Wahnsinn und Hysterie übers Parkett, womöglich als vierter ungebetener Gast das Gleichgewicht, das um Entschuldigung bittet ...

Mit Georgette ist trefflich Seelen gucken, Zombies füttern oder Engel befreien. Immer getrieben vom Liebesleben, führt sie die Meute zur Jagd, niemals das Ziel aus den Augen verlierend: „Phoenix aus der Asche auf frischer Tat ertappen.“Mit Wort und Stimme legt sie Leimspuren, „für immer und dich“. Mutigen Herzens immerzu, dessen Flügel, wenn auch zuweilen schon knirschend, offen stehen wie riesige Deelentore.

„Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt“– natürlich durfte die Dietrich in „Lichterloh“nicht fehlen. Doch einmal mehr bewies Georgette Dee, daß sie auf Zitate nicht angewiesen ist: Sie trug ihre „private Nationalhymne“beinahe stumm vor, allein auf die Gesten ihres Körpers verweisend. Auch die Leander reduzierte sie auf Endbuchstaben, um sich danach, einem Cyrano ebenbürtig, umso wendiger im grenzenlosen Reich der Sprache zu suhlen.

Georgettes Geschichten sind bizarr, die Bilder so dicht, daß sie sich wie zum Film aneinanderreihen. Voller Spannung, Erotik und Witz. Ein Humorpäckchen findet sie immer, denn sie hat ein „kosmisches Timing“: Während die meisten Menschen sich auf ihrem Weg an geografischen Linien orientieren, an Längs- und Breitengraden, hat Georgette ein eigenes Koordinatensystem: „In mir bin ich da, wo ich bin.“So gesichert putzt sie hinter den Leuten her, an denen die Zeit vorbeigeht, frontal durchs Gesicht“, findet dabei jene verloren gegangenen Humorpäckchen

... und verteilt sie als Sprengsätze zurück ans Publikum. Dieses verließ nach dreistündigem Programm das Theaterhaus: lachend, lächelnd, versunken allemal. Ganz ersoffen im schönen Schein der Worte. Dora Hartmann