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Theater ist überall

■ Drei Wannen für die Dame: "Ein sehr kurzes Stück für Bankdirektoren" von Till v. Heiseler in der Deutschen Bank

Die seltsame Dame in Weiß gehört nicht hierher. Nicht in diese verschwiegene Halle. Hier halten sogar die Möbel den größtmöglichen Diskretionsabstand ein, und im gedämpften Licht setzen abstrakte Acrylbilder brav Farbakzente. Die Dame in Weiß hat hier nichts verloren, und darum ignorieren sie die Angestellten hinter den Schaltern und schauen angestrengt auf ihre Computer.

Dem Wachpersonal dagegen ist die Sache nicht geheuer. Schließlich ist da nicht nur die weiße Dame in ihrem komischen dünnen Flatterkleid und Turnschuhen an den nackten Beinen. Schon seit zehn Minuten lungert eine Gruppe von Leuten auffällig unauffällig in der Halle herum. Und nun fängt die weiße Dame auch noch an, leise auf einen Anlageberater einzusingen. „Sehr schön gesungen, aber hier ist eine Bank und kein Theater“, sagt der Mann höflich. Seine Kollegin am nächsten Schalter nutzt die Störung geschickt als Verkaufsargument: „Sehen Sie, bei uns kriegt man was geboten.“ Das findet die weiße Dame auch, sie flattert zum Kontoauszugsdrucker und fällt ergriffen auf die Knie.

Aber jetzt reicht es dem Wachpersonal. Ruck, zuck haben sich zehn stämmige Herren strategisch über die Halle der Deutschen- Bank-Zentrale in der Otto-Suhr- Allee verteilt. Während Michaela Caspar immer schrillere Töne hervorbringt, werden Kameraleute, Fotografen und auch die taz-Berichterstatterin zur stählernen Eingangsdrehtür geleitet und hinausexpediert. Auch Till Nikolaus von Heiseler, der „Ein sehr kurzes Stück für Bankdirektoren“ geschrieben hat, darf die Uraufführung nicht zu Ende erleben, obwohl er sich für den heutigen Tag extra einen Anzug geborgt hat.

Die weiße Dame aber können die Wachleute noch so oft zum Verlassen der Bank auffordern, Michaela Caspar singt ungerührt weiter – von Emily, in deren Kopf zwei Schwestern mit den Beinen baumeln und weiße Socken anhaben und so merkwürdig zwitschern. Ein Text über das Leiden und die Angst vor der Verrücktheit und die lindenblütenteehafte Langeweile verständiger Anpassung.

Das Stück vertritt keinerlei konkretes Anliegen, und doch will Heiseler es als eminent politisch verstanden wissen: „Das Projekt ist ein künstlerischer Anschlag.“ Die Kunst, von stereotyper Hollywood-Ästhetik immer mehr in die Defensive gedrängt, erobere sich mit dem Einbruch in den kommerziellen Alltag wieder Raum zurück. Heiseler ist ein unzeitgemäß begeisterter Adorno-Verehrer – Worte wie „Massenkultur“ und „geistige Unmündigkeit“ gehen ihm flüssig über die Lippen, und Geschichtenerzählen ist ihm ein Greuel. Wie seine anderen Stücke und Prosatexte ist auch „Ein kurzes Stück für Bankdirektoren“ hermetisch in sich abgeschlossen. Joachim Kubinski hat es kongenial unzugänglich vertont.

Daß diese Attacke gelingt, ist aber letztlich zwei Dingen zu verdanken: Michaela Caspars überwältigend sturer Präsenz und der Nervosität der Sicherheitsleute, die in der Performance ein Ablenkungsmanöver für einen Banküberfall wittern. „Ist alles schon vorgekommen!“ Also halten geschwind drei Wannen vor dem Bankgebäude, ein Rudel Polizisten eilt im Sturmschritt zum Tatort. Die am Boden liegende weiße Dame mit dem irren Blick ist den Polizisten unheimlich. „Können Sie uns hören? Die versteht uns nicht! Ruf die Psychiatrie.“

Erst als die Künstlerin aus dem Gebäude getragen ist und die Personalien feststehen, kommt man sich näher. Der Einsatzleiter wundert sich, warum sie das Stück nicht lieber im Theater spielen will. „Sie können doch Schauspieler in Polizeiuniformen stecken.“ Ratlos auch die Vorgesetzte der Wachleute: „Das war ja wohl Kunst, aber was sollte das?“ So viele Fragen. Antworten wollen die Künstler mit weiteren Aktionen. Wieder in einer Bank. Miriam Hoffmeyer

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