„Konzertiertes Gemetzel an der Lira“

■ Gedächtnisprotokoll eines Regierungsberaters bestätigt Noordwijk-Szenario. Devisenspekulanten fürchten jähe Kurssprünge vor der Euro-Entscheidung

Wenn Geld- und Devisenmakler Cesare Bersani an die kommenden zwölf Monate denkt, dann weiß er, was das heißt: „Kein Urlaub, kein freies Wochenende, mindestens drei Handys griffbereit, auch nachts.“ Denn die Zeit bis zur Entscheidung, wer zum Euro zugelassen wird und wer nicht, ist für Leute wie ihn „Inferno schlechthin“: Nichts ist mehr sicher, ausgetüftelte Spekulationen sind plötzlich Makulatur. „Das einfache Prinzip, Geld zu verdienen, wo sich Kurs- oder Kaufdifferenzen auftun, funktioniert nicht mehr.“

Nicht erst seit Kohl seine erneute Kandidatur angekündigt hat, erwartet Bersani das „konzertierte Gemetzel an der Lira“. Die Nachrichten, die enge Regierungsberater aus der letzten EU-Sitzung in Noordwijk mitgebracht haben, „waren das Menetekel schlechthin“. Wie in der Bibel die Schrift an der Wand den Untergang König Belsazars angekündigt hat, so scheint ein bei Insidern herumgereichtes Gedächtnisprotokoll eines Regierungsberaters mit dem Szenario einer „monetären Niederknüppelung Italiens zum Zwecke seines Ausschlusses aus der ersten Euro-Gruppe“ die Ankündigung des „totalen Kollapses“: vom Ausland durch Spekulanten organisierte Massenflucht aus der Lira. Kursverfall. Um den zu stoppen, Anhebung der Leitzinsen, damit wieder Kapital angelockt wird. Durch hohe Zinsen aber steigt die Schuldenlast der Regierung wieder an. Die Maastricht-Kriterien würden weit verfehlt.

Dabei sind die politischen Aspekte für Spekulanten und Makler wie Bersani im Grunde gleichgültig. Sie wollen Geld verdienen. Doch was sie erregt, ist die „durch solche Manöver tatsächlich und wahrscheinlich auf lange Sicht gegebene totale Verunsicherung des Geldmarktes“. Wenn wenigstens abzusehen wäre, daß die „Niederknüppelung Italiens“ gelingt – da würde Bersani halt Dollar oder Mark oder Yen kaufen. Doch seien „dutzenderlei Gegenmanöver“ möglich. Kohl könnte zum Beispiel durch die schlechte Wirtschaftslage selbst zur Verschiebung des Euro-Starts gezwungen werden oder die SPD mit einer Anti-Euro-Kampagne Erfolg haben.

Oder die USA schalten sich ein. Seit einem Jahr empfehlen amerikanische Makler Investitionen in Italien so intensiv, daß mehr als 100 Milliarden Dollar ins Land geflossen sind. „Und deren Eigentümer“, vermutet Cesare Bersani, „werden Kohl eins blasen, wenn das alles durch den Kamin geht.“

Vorbei die schöne Zeit, wo alles so einfach war: Stieg Kohls Stern, kauften die Leute Deutschmark. Heute kann es durchaus sein, daß sie gerade aus der Mark aussteigen, weil sie glauben, die stirbt mit dem Euro sowieso. „Und dann kaufen sie sich vielleicht Lire, weil die Lira angeblich außerhalb des Euro bleibt und man daher weiter mit ihr spekulieren kann – mit dem Erfolg, daß durch solche Käufe die Lira aber wieder steigt und Italien wieder Euro-fähig wird. Verkehrte Welt“, seufzt Bersani. Werner Raith, Rom