Sonne und Sauerkraut

■ Hamburgs erster Sommertag: Kollektive gute Laune und viel Bein / Selbst die Punks haben hitzefrei Von Christoph Ruf und Kerstin Meier

Wenn heute die Sonne scheint, bleibt es ganze sieben Wochen so! So will es eine alte Bauernregel, denn heute ist Siebenschläfer. Der aufgeklärte Hanseat indes glaubt dem Hamburger Seewetteramt („es gibt keinerlei Anhaltspunkte, keinerlei statistische Signifikanz für diesen vielbeschworenen Zusammenhang“) eher: Kaum lockt der erste reguläre Sommertag, strömen die HamburgerInnen aus ihren düsteren Behausungen – vereint im Bestreben, diesen Tag zu zelebrieren, als wär's der letzte seiner Art. Während die unterkühlten Köpfe vom Seewetteramt bereits „einen Anstieg der Schadstoffbelastungen“ prognostizieren und in tagtäglichen Radiomeldungen „Menschen mit empfindlicher Haut“ davor gewarnt werden, sich länger als 25 Minuten die Sonne auf den Pelz brennen zu lassen, räkelt sich ganz Hamburg so leicht bekleidet wie möglich auf Bänken und jeder noch so kleinen Grünfläche.

So auch im Sternschanzenpark, wo die Anstrengungen des täglichen Broterwerbs – „Hasse ma ne Maak!“ – vorübergehend dahingeschmolzen sind. Viel schöner ist's hingegen, in sonnenanbeterischer Hingabe mit Hund und allem der Muße zu frönen. Kaum dem überfüllten Schanzenpark entronnen, offenbart sich die nächste Metamorphose: Ein Rudel junger Männer verschönt mit blütenweißen Knien ein Rasenstück von Planten un Blomen. Der modische Bruch zwischen würdigem „Lacoste“-Hemd und laszivem Unterbau wird sonnenselig hingenommen.

Nächste Station: Jungfernstieg. Die Reichen und Schönen lustwandeln in der unverkennbaren Absicht, die soeben in Paris erstandene Sommerkollektion zu präsentieren. Das kurze Beinkleid ist hier eher unterrepräsentiert, es regiert das locker-luftige Leinen. Lediglich das Stuttgarter Weinfest auf dem Rathausmarkt stört die Aura des Erhabenen ein wenig. Zu penetrant verwässern die Sauerkrautschwaden den Duft der großen, weiten Welt.

Doch trotz aller Unterschiede: Die Sonne schafft es, die tiefe Seelenverwandtschaft zwischen Champagnerschlürfern und Pilstrinkern zu offenbaren: Mit zunehmendem Promillegehalt gelingt es dem Kollektiv der brünftigen Männerwelt zusehends schlechter, die sabbernden Blicke auf entblößte Frauenbeine und -bäuche zu tarnen.

Aber auch der Mann an sich geizt nicht mit seinen zweifelhaften Reizen und wird im Zuge der sonnenseligen Begeisterung gar verwegen: ob krumm, ob kurz, ob kreideweiß – das behaarte Männerbein drängt gnadenlos ans Sonnenlicht.

Alles in allem hilft ja nichts: Der Sommer in Hamburg muß mit all seinen Leibchen, Sandalen, kurzen Hosen und nackten Oberkörpern ertragen werden.