■ Querspalte: Erbakans Männerchor
Was zuviel ist, ist zuviel für einen gestandenen Fundamentalisten. Nur Männerstimmen sollen ans Ohr des türkischen Ministerpräsidenten Necmettin Erbakan dringen, wenn er sich die Nationalhymne vortragen läßt. Frauen taugen ihm allenfalls fürs Playback.
Nun könnte frau sich im Namen des ideellen Gesamtvereins der „Damenchöre gegen Vaterländer, Nationalhymnen und anderen Unsinn“ auf den Standpunkt stellen: „Jungens, dann trällert eben ohne uns.“ Und die Sache abhaken.
Aber so einfach ist das nicht. Im türkischen Kabinett befinden sich zwei stramme Nationalistinnen in Gestalt der Außen- und Innenministerin, die sich weder das Singen noch das Reden verbieten lassen, wobei mensch froh sein kann, wenn sie sich auf ersteres beschränken.
Bedenklich sind die möglichen Auswirkungen des Erbakanschen „Men Only“- Befehls auf die Musikwelt. Zum Beispiel auf das Nationale Symphonieorchester der Türkei, in dem auf Auskunft der türkischen Botschaft „aber selbstverständlich“ Frauen spielen. Oder auf die Wiener Philharmoniker, unter denen bis vor kurzem wie selbstverständlich keine Frau weilen, geschweige denn mitspielen durfte, bis der Herrenklub in einem revolutionären Schritt eine Harfenistin engagierte. Vielleicht brüten ihre Kollegen nun schon darüber, wie man das Erbakansche Theorem auf Beethovens Fünfte und auf die Vorzüge eines hundertprozentig maskulinen Crescendo ausdehnen kann.
Womit wir bei einem ganz hypothetischen, aber charmant-ketzerischen Gedanken angelangt wären. Bekanntermaßen ist auch in der Musik nicht überall Mann drin, wo Mann draufsteht. Felix Mendelssohn setzte seinen Namen schon mal über ein Stück seiner ebenso begabten Schwester Fanny.
Auch der Komponist der türkischen Nationalhymne, Osman Zeki Üngör, kommt aus einer Familie mit zahlreichen musikalisch talentierten Mitgliedern. Wetten, daß es da auch die eine oder andere begabte Schwester gab? Andrea Böhm
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen