Der Teufel geht umher

■ Regisseur John Dew über moderne Teufel und seine Uraufführung von Alfred Schnittkes Oper Historia von D. Johann Fausten an der Hamburg Oper

Für den deutschrussischen Komponisten Alfred Schnittke ist das Faustthema seit gut 15 Jahren ein zentrales künstlerisches Anliegen. Schnittkes Ehrfurcht vor Goethes Faust ließ das Projekt aber jahrelang ruhen. 1983 kam es zunächst zur Uraufführung der Faust-Kantate „Seit nüchtern und wachet“, die nun den gesamten 3. Akt der Historia von D. Johann Fausten bilden wird.

Textgrundlage dieses Faust ist ein Volksbuch aus dem Jahre 1587, das amüsant und drastisch die Geschichte des „weitbeschreiten Zauberers und Schwarzkünstlers“ Dr. Johann Fausten erzählt. Ein erbauliches, naives Buch, das den christlichen Leser lehren soll, „Gott zu förchten und Teufelswerk zu fliehen“. Im Vergleich zu Goethes Drama ist diese „Historia“ ein saftiges Stück Unterhaltungsliteratur, das hier und da die Gespaltenheit der christlichen Seele zum Thema macht. Schnittkes ureigene Lust an der Groteske, am gefährlichen Nebeneinander von tolldreister Lustigkeit und dem schieren Bösen, findet in diesem Reformations-Faust genügend Stoff. Es ist augenzwinkernder Spaß, mitunter schön schauerlich, der seinen skurillen Reiz auch durch diese spezielle „Biederkeit der deutschen Sprache“ (Alfred Schnittke) bezieht und dadurch seltsam übersteigert wird.

John Dew, der Regisseur der Schnittke-Premiere, hat sich spätestens durch seine Hamburger Aida-Inszenierung (1993) einen die Meinungen polarisierenden Namen gemacht. Der hauptsächlich in Bielefeld inszenierende Dew zählt Schnittkes Concerto Grosso Nr. 1 zu seinen musikalischen Schlüsselerlebnissen. In Analogie zur musikalischen Polystilistik wird das Bühnenbild die großen Werke der Kunstgeschichte wie z. B. da Vincis Abendmahl, Picassos Guernica zitieren, ohne dabei allerdings die Gegenwart aus dem Auge zu verlieren. So wird Dr. Faust auch zwischen Raumfahrtbildern und vor New Yorker Wolkenkratzern umherwandeln.

taz: Faust, das ist die Inkarnation deutscher Kultur, einer Kultur schizophrener Zerissenheit. Gibt es eine spezielle Botschaft in diesem Faust?

John Dew: Das Böse, das Teuflische ist immer gegenwärtig und kann jederzeit ausbrechen. Der leibhaftige Teufel ist als Figur immer verlacht worden und spielte eine immer unwichtigere Rolle in unserer Kultur. Jetzt muß man sich vielleicht eingestehen, daß unsere Kultur, die sich immer mehr verfeinert hat, einfach verfällt und sich in ein Chaos auflösen könnte. Die Schreckensbilder aus aller Welt, z. B. aus Japan (Sektenterror) und Amerika (Bombenattentat ) sind ein Beleg für die Selbstzerstörungsmechanismen, die Menschen in sich tragen. In diesem Zusammenhang erinnere ich mich immer an einen Ausspruch von Papst Paul VI., der vor 20 Jahren sagte, daß der Glaube an den leibhaftigen Teufel unverzichtbar sei. Ich habe das damals nicht verstanden, warum man im 20. Jahrhundert noch vom Teufel sprechen kann. Mittlerweile begreife ich den Teufel aber als eine Chiffre für das unkontrollierbare Böse, das in uns allen lauert. In allen Weltreligionen gibt es mystische Elemente; diese mystischen Elemente gehen Hand in Hand mit einer Warnung vor dem Mißbrauch des Mystischen. Das ist ja auch die Botschaft am Ende der Oper: „Seit nüchtern und wachet, denn euer Widersacher, der Teufel, geht umher.“

Können Sie etwas über Schnittkes Musik und Ihr Bühnenkonzept erzählen?

Von der Musik her ist es herrlich naiv und augenzwinkernd. Wenn die himmlischen Chöre „Ah“ und „O“ singen, hat das teilweise Hollywood-Charakter. Schnittkes Arbeiten mit Versatzstücken und Kitschigem wird sich auch in dem Bühnenbild widerspiegeln. Dieser Faust ist recht abwechslungsreich, naiv und humorvoll. Synchron zu dem barocken Getümmel auf der Bühne wird Schnittkes Musik wie ein kultureller Steinbruch funktionieren. Es wird einiges persifliert werden, so auch Gounods Oper Faust. Interessant ist auch die Zwittrigkeit des Teufels. Der männliche Aspekt (Mephostophiles) wird durch einen Mann dargestellt, der sowohl mit männlicher als auch mit weiblicher Stimme singst. Das weibliche Element (Mephostophila) wird durch eine Frau dargestellt, die in sehr tiefer Lage singt. Sprachlich gesehen scheint der Teufel immer etwas Männliches zu haben, obwohl er meist als Zwitter gezeigt wird. Es gibt viele Darstellungen, die den Teufel mit Brüsten zeigen.

Sven Ahnert 22. 6. (Premiere), 25. + 28. 6., Hamburg Oper, jeweils 19. 30 Uhr