Klohäuschen fallen unter Nebenkosten

■ Vom Danaergeschenk zum Gewerbebetrieb. Götz Adriani, Direktor der Tübinger Kunsthalle, über Gegenwartskunst und das Vorhaben des Finanzamtes Tübingen, die Gewinne zu versteuern. Droht dadurch das Ende

taz: Herr Adriani, mit welchen Erwartungen sind Sie als frischgekürter Kunsthallendirektor damals, 1971, angetreten?

Götz Adriani: Für mich hieß die Perspektive, etwas Eigenes auf die Beine zu stellen. Eine neue, unbekannte Institution zu übernehmen. Neue Kunst zu zeigen. In diesem Freiraum habe ich mich wohl gefühlt. Außer der Eröffnungsausstellung, die Willi Baumeister gewidmet war, habe ich in den siebziger Jahren hauptsächlich Zeitgenossen präsentiert, also Walther und Polke, Kosuth, Oldenburg, George Segal, Manzoni und viele andere. Und es war mein vordringliches Interesse, den ungeheuren künstlerischen Aufbruch dieser Generation klarzumachen, der ja schon in den sechziger Jahren angefangen hat.

Während die Tübinger Uni über Hochschulrahmengesetze und die RAF debattierte, haben Sie auf Environmentkünstler und abstrakte Skulpturen gesetzt, auf Pop-Art, Joseph Beuys, Alexander Calder und New Yorker Dada.

Ich habe eine einzige Ausstellung zu politischen Themen gemacht; ich stand dieser Form der Kunstäußerung schon immer sehr skeptisch gegenüber. Denn die Kunstaufbrüche der sechziger Jahre spielten sich nur sehr bedingt im politischen Bereich ab; das war eine zufällige Parallelität. Minimal Art, Concept-Art, Pop-Art, gerade letzteres hatte mit Politik inhaltlich gar nichts zu tun.

Sie müssen bedenken: Die amerikanische Kunst damals hatte mit unseren politischen Verhältnissen gar keine Berührungspunkte. Sie kam eher aus den fünfziger Jahren, und sie verhielt sich zur Konsumwelt eher affirmativ.

Wer hat denn damals diese Ausstellungen in Tübingen angeschaut, also Polke, Rauschenberg und dergleichen?

Niemand. Niemand. Wir saßen vor leeren Räumen. Na, es kamen dann doch einige. Aber es war ein Politikum in der Stadt, daß die Kunsthalle ein Danaergeschenk ist, daß sie viel Geld kostet und dann Ausstellungen macht, die keiner sehen will.

Die Kunsthalle spielte im kulturellen Leben Tübingens keine Rolle. Wobei ich immer wieder betone, eine Polke-Ausstellung, die in sechs Wochen 600 Besucher hat, ist mir genauso lieb wie eine Cézanne-Ausstellung, die 430.000 Besucher hat.

Es gab damals aus der konservativen Ecke sogar eine „Initiative gegen den Mißbrauch der Kunsthalle“, die die ganze Einrichtung symbolisch mit einer Kranzniederlegung zu Grabe trug...

Das war ein Künstler, der sich durch diese zeitgenössischen Aufführungen auf den Schlips getreten fühlte und meinte, sein Werk sei interessanter als Manzoni. Der trat dann eigentlich nie mehr in Erscheinung – außer bei dieser Kranzniederlegung.

Wie hat sich bei Ihnen denn das auch finanziell lukrative Bedürfnis enwickelt, diese großen Retrospektiven zu veranstalten, Degas, Cézanne...

Also, ich bin in erster Linie Kunsthistoriker. Ich vertrete die Ansicht, daß die Auseinandersetzung mit zeitgenössischer Kunst vor allem mit der eigenen Generation zu tun hat. Man engagiert sich emotional für die eigene Generation; was danach kommt, sieht man doch sehr rational und mit sehr viel größerer Distanz.

Als ich die mir wichtig erscheinenden Künstler meiner Generation, von Claes Oldenburg bis Richard Serra, von Rückriem bis Franz Erhard Walter, als ich die gezeigt hatte, habe ich mich wieder auf meine Rolle als Kunsthistoriker besonnen und versucht, Dinge zu machen, die hier in Deutschland noch nie zu sehen waren. Eine kleine Institution wie Tübingen kann sich nur profilieren, indem sie etwas macht, was andere nicht tun. Ich stellte dann fest, daß es in Deutschland noch nie eine Degas- Ausstellung gab, noch nie eine umfassende Renoir-Ausstellung, noch nie Cézanne. Wobei ich bei Cézanne angefangen habe mit Zeichnungen, was damals noch einfach war – für Cézanne-Zeichnungen hat sich auf dem Markt noch in den siebziger Jahren niemand groß interessiert.

Solch große Ausstellungen brauchen einen enormen Vorlauf, sie verschlingen große Versicherungssummen...

Es ist in der Tat wie ein Puzzle, ein Geduldsspiel... Es gibt dann irgendwann den Point of no return, wenn man soundso viele Leihgeber hat. Man kann ja nicht einfach herkommen und sagen, jetzt mach' ich mal 'ne Cézanne-Ausstellung, wie manche das jetzt tun. Das braucht auch diese 25 Jahre Vorlauf, 25 Jahre Beziehungen zu Museen und Sammlern.

Sie wollten nie weggehen aus dieser sehr selbstbestimmten, aber auch einsamen Arbeit in Tübingen? Die Staatsgalerie in Stuttgart leiten oder die Münchner Pinakothek?

Ich bin kein Verwaltungsmensch. Ich will lieber selbständig etwas realisieren, statt mich mit Personalfragen zu beschäftigen. Natürlich haben wir in Tübingen nur einen kleinen Etat von etwas über 100.000 Mark im Jahr, und den Rest müssen wir einspielen; die anderen haben Millionenetats. Aber Sie haben recht, es ist diese stark subjektiv geprägte Arbeit, die mich in Tübingen hält. Ich bin allerdings auf Gewinne angewiesen. Mit unserem Etat können wir keine großen Sprünge machen. Deshalb ist es Usus, daß ich mit den Rücklagen neue Projekte vorfinanziere.

Das Finanzamt sieht das seit neuestem ganz anders.

Ich kann da nur sagen: Auf geheimnisvolle Weise verwandelt sich eine von der öffentlichen Hand getragene Kultureinrichtung, die nebenbei ja auch einen Bildungsauftrag hat, in einen Gewerbebetrieb. Solche Neudefinitionen dürfen nicht sein. Cézanne und Renoir haben uns in der Tat viel Geld gebracht. Nach dem Stiftungsvertrag der Kunsthalle sind diese Gewinne unserem Ausstellungsbetrieb gutzuschreiben. Nur so können wir überhaupt planen. Sehen Sie, wenn ich jetzt Zeichnungen des Amerikaners Robert Longo ausstelle, dann werden wir mit Sicherheit hohe Verluste machen. Um solche Zeitgenossen zu zeigen, habe ich Geld auf die hohe Kante gelegt. Und wenn dieses Geld besteuert wird, bricht unser ganzes Modell zusammen.

Die Stadt Tübingen will deshalb zunächst jedes Klohäuschen unter „Nebenkosten“ geltend machen und, wenn das nichts nützt, durch alle Instanzen hindurch gegen den Steuerbescheid klagen. Erfahrungsgemäß dauert das Jahre.

Im Moment sitze ich völlig auf dem trockenen. Wenn wir nicht rasch zu einer akzeptablen Lösung kommen, muß ich mein Programm für die Jahre 1998 und 1999 zu den Akten legen.

Dann wäre das Experiment Kunsthalle wohl am Ende. Was würde das für Sie persönlich bedeuten?

Ich habe mir schon als Student immer vorgestellt, es wäre schön, ein Musée Imaginaire aufzubauen; das habe ich hier mit meinen Ausstellungen versucht. Ich wollte die Hauptwerke der mir wichtigen Künstler wenigstens zeitweise in Tübingen versammeln.

Mich hat immer interessiert: Was hat unser Jahrhundert am stärksten geprägt? Was hat Picasso, der unser Jahrhundert ja in gewisser Weise repräsentiert, was hat den auf den Weg gebracht? Und da kommt man von selbst zu Toulouse-Lautrec, zu Cézanne, zu Degas.

Es sind eben die Franzosen, die diese Wege geöffnet haben. Und es gibt keinen Künstler, der sich sein Leben lang so sehr mit der Kunst seiner Vorbilder auseinandergesetzt hat wie Picasso.

Noch der über 90jährige Picasso hat eine wunderbare Radierfolge mit über 100 Blätter realisiert – nur mit dem Thema: der zeichnende Degas im Bordell. Dieser Einfluß war ganz wichtig für Picasso, natürlich auch Ingres und Delacroix. Und all das wollte ich irgendwann einmal in meinem Museum auf Zeit realisieren.

Wenn Sie einmal völlig von Ihren jetzigen Möglichkeiten in der Tübinger Kunsthalle – und vielleicht auch von dem Steuerbescheid – abstrahieren und sich vorstellen, sie sollen jemanden, der sich für Kunst interessiert, in das zwanzigste Jahrhundert einführen – wer würde dann in Ihrem Musée Imaginaire vertreten sein?

Meine didaktischen Ambitionen sind immer gering gewesen. Zum Verständnis dieses Jahrhunderts ist Picasso der Solitär, weil er praktisch alle Entwicklungen mitgetragen hat. Da reicht kein anderer heran. Auf der anderen Seite ist Giacometti, der einen einzigen Stilentwurf in den fünfziger, sechziger Jahren durchgehalten hat, sehr wichtig. Er hat nicht die Fülle von Picasso, bei ihm reduziert sich alles. Aber das ist eben seine Stärke. So eine Idealvorstellung wäre – aber außerhalb meiner Möglichkeiten –: einen Strang Duchamp aufzubauen. Das ist einfach eine Setzung, die durch niemanden mehr erreicht wurde. Eine Bestimmung. Da können sich alle Großen der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts noch so abrackern, sie erreichen diese Setzung nicht. Interview: Christian Gampert