Der Tiger zähmt das Biest

Am dritten und vorletzten Tag des Masters-Golfturniers in Augusta schockiert der 21jährige Newcomer Tiger Woods die hochberühmte Konkurrenz  ■ Von Matti Lieske

Berlin (taz) – In Georgia gibt es einen alten Spruch zur Charakterisierung der vier bedeutendsten Städte des Staates: „In Atlanta fragen sie dich zuerst, welches Geschäft du betreibst; in Macon möchten sie wissen, welche Schule du besucht hast; in Augusta erkundigen sie sich nach der Familie deiner Großmutter, und in Savannah fragen sie, was du trinken willst.“ Logisch, daß das renommierteste Golfturnier der Welt nicht in Savannah stattfindet, und erst recht nicht in Atlanta.

Ebensowenig überraschend, daß beim alljährlichen Masters in Augusta schwarze Golfspieler lange Zeit nicht geduldet wurden. Charlie Sifford, der in den 60er Jahren einige Titel auf der PGA-Tour gewann, wartete vergeblich auf eine Einladung, erst 1975 schaffte es Lee Elder, den Masters-Bann für schwarze Golfer zu brechen. Sein erstes schwarzes Mitglied nahm der Augusta National Golf Club gar erst vor knapp sechs Jahren auf. Doch erst gestern, fast auf den Tag genau fünfzig Jahre nach dem spektakulären Debüt des „Negro- League“-Spielers Jackie Robinson in der Major League, war es soweit, daß der erste Afroamerikaner vor dem Titelgewinn beim Masters stand – und der jüngste Spieler überhaupt obendrein.

Mit einer phänomenalen 65er Runde, sieben unter Par, im dritten Durchgang schockierte Eldrick „Tiger“ Woods am Samstag die Konkurrenz und baute seine Führung vor dem letzten Durchgang (nach Redaktionsschluß) auf neun Schläge vor dem Italiener Costantino Rocca aus. „Es ist nicht menschenmöglich, daß Tiger Woods dieses Turnier noch verliert“, sagte der Schotte Colin Montgomerie, der sich auch nicht durch die Erinnerung an Greg Norman beirren ließ, der im letzten Jahr eine Führung von sechs Schlägen gegenüber Nick Faldo in der Schlußrunde verspielte. „Zunächst einmal liegt nicht Faldo an zweiter Stelle“, sagte Montgomerie, „und Greg Norman ist nicht Tiger Woods.“ Sowohl Norman als auch Faldo scheiterten im übrigen am Cut für den letzten Tag.

Tiger Woods ist sich der Bedeutung seines Masters-Auftritts durchaus bewußt. „Natürlich ist Jackie Robinson einer meiner Helden“, sagt der 21jährige, und fügt hinzu: „Ich denke, ich kann beim Golf eine Menge für die Beteiligung von Minoritäten tun.“ Pathetischer pflegen es seine Eltern auszudrücken. „Er ist das universelle Kind“, sagt Mutter Kultida, eine Thailänderin. „Er ist der Auserwählte, die Brücke zwischen West und Ost“, ergänzt Vater Earl, ein Afroamerikaner, unter dessen Vorfahren sich Europäer, Chinesen und Indianer finden.

Tatsächlich ist die Wirkung von Tiger Woods auf den Golfsport in den USA mit der von Boris Becker für das deutsche oder von Michael Chang für das asiatische Tennis zu vergleichen. Leute mit unterschiedlichem ethnischen Hintergrund, die sich nie für diesen Sport interessiert haben, kommen plötzlich auf den Golfplatz, um den neuen Star zu sehen. Schon beim Training war Woods in Augusta stets von einem Pulk Menschen umgeben. Wenn Turnierdirektoren die Zusage des Neulings erhalten, der bei seinem Wechsel ins Profilager letzten Herbst sofort einen 60-Millionen-Dollar-Vertrag bei Nike abschloß, öffnen sie eine Flasche Champagner, denn Woods treibt die Fernseh- und Zuschauereinnahmen steil in die Höhe. „Er hat gezeigt, daß er Golf auf dem Markt in neue Dimensionen treiben kann“, strahlt Tim Finchen, der Commissioner der PGA-Tour. „Er hat ein Interesse bei Leuten geschaffen, die den Sport nicht betreiben, sich nicht dafür begeistern und ihn früher nicht mal angeschaut haben.“

„Es ist großartig für das Spiel, all diese neuen Gesichter und das frische Blut“, freut sich auch Tiger selbst, der sogar die Superstars des Sports zu seinen Anhängern zählen darf. „Er ist mein einziger Held“, sagt Golfenthusiast Michael Jordan, und Baseball- Größe Ken Griffey jr. war aufgeregt wie ein Schuljunge, als er eine Runde mit Woods spielen durfte.

Beim Masters, wo er zweimal als Amateur antrat, hatte Tiger Woods bisher eher schlecht gespielt. Der Kurs gilt als äußerst tückisch, vor allem, was das Putten betrifft, bisher eine Schwäche des jungen Stars, der vor allem mit seinen ungeheuer weiten Drives brilliert. „Augusta ist ein Putt-Wettbewerb, kein Zweifel“, meint Veteran Nick Price. Auf dem glatten Rasen, wo es „keinen schlechten Grashalm“ (Newcomer Robert Allenby) gibt, flutschen die Bälle am Loch vorbei und wollen gar nicht mehr aufhören zu rollen, vor allem bei Trockenheit. „Wenn er fest ist, ist der Kurs ein Biest“, sagt Profi Frank Nobilo. Aber auch der Rest hat es in sich. „Die Fairways sehen aus , als wären sie 50 Yards breit“, erklärt Woods, „es braucht eine Weile, bis du feststellst, daß es nur zehn Yards sind, auf denen du sein möchtest.“

Im Gegensatz zum Vorjahr, als er wegen seiner Jahresabschlußprüfungen in Stanford nur eine Woche Vorbereitungszeit hatte, präparierte sich Woods diesmal gründlich für das Turnier. Sehr zum Leidwesen der Konkurrenten. „Ich wünschte, er wäre auf der Schule geblieben“, grantelte Jack Sluman, PGA-Champion von 1988, als Tiger Woods die Größen des Golfsports in Grund und Boden spielte. Beim Putten souverän, blieb dennoch der Drive seine stärkste Disziplin. Sein Durchschnitt betrug 338 Yards, und er vermag sogar Par-5-Löcher mit zwei Schlägen zu erreichen. Der Par-72-Kurs von Augusta sei für Woods eigentlich nur ein Par-68, scherzten die Rivalen.

„Es geht um mehr, als den Ball weit zu schlagen“, hält Colin Montgomerie fest. Der Schotte mußte der Power des jugendlichen Kontrahenten aus Kalifornien dennoch Tribut zollen, nachdem er, zuvor an zweiter Stelle, am dritten Tag zwölf Schläge hinter Tiger Woods zurückblieb: „Er spielt sein Spiel und ich spiele mein Spiel. Bei den Drives wünschte ich, ich würde seines spielen.“