Steinbruch und Blasenwurf der Moderne

Die Auflösung der Städte: Im Design-Exchange-Museum von Toronto werden mit Filmreihen, Symposien und der Ausstellung „Visions of Light“ die architektonischen Utopien rund um das Glashaus von Bruno Taut untersucht  ■ Von Jutta Brendemühl

Transparenz und Licht, Utopie und Vision: Was der Berliner Architekturdiskussion an Ausstrahlung fehlt, davon bietet Toronto mit einer Präsentation um Bruno Tauts Glashaus mehr als die Heimatstadt des expressionistischen Lichtarchitekten. Das Goethe-Institut Toronto und das Architekturmuseum Design Exchange haben als Drehpunkt eines umfangreichen Programms über „Lichtvisionen“ Tauts Glaushaus-Modell aus dem Werkbundarchiv in Berlin geholt und, eingebettet in zwei kanadisch-deutsche Ausstellungen, neue Synergien geschaffen.

Der Besucher betritt den Ausstellungsraum durch einen stahlgerahmten Laubengang, in dessen Wänden Glasbausteine scheinbar unbefestigt schweben. Jeff Goodman und Peter Hamilton haben wie elf weitere Künstler/Architekten-Duos in dem Projekt „Glas/ Architektur: Den Schleier heben“ mit den Materialien der zwanziger Jahre (Glas und Stahl) und Tauts Ideen experimentiert. Die Ansätze ähneln sich noch immer: So wie Taut 1913 von der Glasfirma Luxfer gesponsert wurde, so bedanken sich Karl H. Schantz und Eberhard H. Zeidler bei dem Torontoer Fensterhersteller, der das Material für ihre beiden ineinandergeschachtelten Pyramiden bereitgestellt hat. Wo Taut mit dem natürlichen Lichteinfall kaleidoskopische Effekte im Herzen seines Hauses erzielte, wird hier durch technische Oberflächenmanipulation und Vermilchung des Glases mit Transparenz und Undurchsichtigkeit gespielt. Das Äußere als Hülle dessen, was innen vorgeht. Bunter als die Pyramiden vor dem Louvre, aber weder neu noch besonders raffiniert.

Dagegen bildet das geomorphologische Objekt „Contact Metamorphosis“ von Lockan/Syne einen schweren, geerdeten Kontrast zu den meist luftig-leichten Glasbetrachtungen. Das dick gegossene, Blasen werfende und mit Bruchstein gemischte Glas erinnert an Lavamasse, die in der Bewegung erstarrt ist. McFadyen/ Shniers „Rain Stick“ ist ein anderes originelles Ergebnis des einjährigen Teamwork-Projekts, das vom Kanadischen Ton- und Glasmuseum initiiert wurde. Ein raumhoher, von Kaninchendraht gehaltener Glasscherbenstab, der von Geräuschen beim industriellen Recycling untermalt wird, erzeugt die Vorstellung eines merkwürdig bewegungs-, aber nicht leblosen „Regenmachers“. Das „Virtual Window“ (Gellman/Mezei) hingegen wird interessant, wenn der ahnungslose Besucher zwischen Diaprojektor und Fenster-Leinwand hindurchläuft und die Illusion einer erleuchteten Glasmembran als Medienoberfläche zerstört. Das klischeehafte Idealbild von Fenster- und Fernsehglas als unsichtbarem Bau- und Projektionsmaterial wird ad absurdum geführt, hier schottet es Räume und Köpfe gegen die Umwelt ab. Am Ende der Ausstellung, beim Betrachten des Taut- Hauses, mit dem der Architekt die restriktiven Raumvorstellungen seiner Zeit brechen wollte, erscheint der Aphorismus von Taut- Freund Paul Scheerbart, „Das Glas bringt uns die neue Zeit“, erfüllt und überholt zugleich.

Zuvor aber geht man durch den zweiten Teil der Ausstellungskomposition, eine kleine, aber feine Sammlung visionärer Zeichnungen, Bücher und Fotos der architektonischen Zwanziger mit dem psychedelischen Titel „Crystallizing-Engineering-Delirium“. Wenzel Habliks Luftkolonie ist dort zu sehen, Gropius' Bauhäuser, Feiningers expressionistische Bilder-Gebäude, ein Licht-Schatten- Film von Moholy-Nagy; dazu Tauts Tusche-Utopie „Die Auflösung der Städte oder Die Erde eine gute Wohnung“ sowie seine phantastische Idee von der Glasüberdachung der Alpen, deren Untertitelung Tauts Lebens- und Arbeitsethos beinhaltet: „Die Ausführung ist gewiß ungeheuer schwer und opfervoll, aber nicht unmöglich: ,Man verlangt so selten von den Menschen das Unmögliche‘ (Goethe).“

Eingestimmt durch Planzeichnungen und Fotos des echten Glashauses, versinkt man für die nächste Viertelstunde im 3-D-Licht und Tonspiel um die Replik von Tauts Glaspavillon, ein Stahlskelett mit Glasausfüllung auf einem weißen Sockel, der Raum abgesteckt durch weiße Tücher. Ein Tag auf der Werkbundausstellung in Köln 1914 wird mit den Geräuschen der nahen Kirmes in Erinnerung gerufen; das Geknalle des abschließenden Feuerwerks kündigt zugleich die Zerstörung durch den Ersten Weltkrieg an. Dagegen waren auch die Zaubersprüche Scheerbarts am Sims des Hauses nicht mächtig genug: „Das bunte Glas zerstört den Haß.“ Fasziniert-befremdet ist eine ältere Kanadierin von der Vorstellung. „Sehr germanisch“, murmelt sie, als sie andächtig die 3-D-Brille zurücklegt.

Das Rahmenprogramm mit über einem Dutzend Filmserien, Konzerten und Diskussionsrunden reicht von Gastvorlesungen des Dessauer Bauhaus-Direktors Walter Prigge und Dieter Hassenpflugs von der Universität Weimar (über Atopien der städtischen Architektur) bis zu Veranstaltungen, die der Bedeutung des Internationalisten Taut in Japan und Amerika gerecht werden. Außerdem gibt es eine Performance-Diskussion zwischen den Technologie- Jüngern Arthur und Marilouise Kroker, dem Leiter des Torontoer McLuhan Centre und dem Literaturwissenschaftler Gundolf S. Freyermuth über die (Un-)Möglichkeiten einer persönlichen Cyber-City.

Derzeit steht neben Filmklassikern wie „Dr. Caligari“ und „Metropolis“ und deutschen Experimentalfilmen der Achtziger (Breitenstein und andere) eine Hommage an die „Filmarchitektur“ Berlins an. Das Programm endet mit einem Willkommensgruß an den kosmopolitischen Besucher: Unter dem Titel „Dear Guest“ hat der Frankfurter Designer Volker Albus internationale Hotelräume fotografiert, vorübergehende Heimaten fern der Heimat. Und wer dann immer noch nicht genug von Glas und Architektur und futuristischer Städteplanung hat, der braucht nur vor die Tür der Design Exchange zu treten und mit dem Blick gen Himmel durch das sich spiegelnde, wolkenkratzende Finanzzentrum Torontos zu wandern, um Kunstwerke wie Raymond Moriyamas und Lutz Haufschilds gläsern-steinernes Schuhmuseum zu entdecken. „Ohne einen Glaspalast ist das Leben eine Last“ ist auf Bruno Tauts Glashaus zu lesen.

Die Ausstellungen sind bis 27. April zu sehen, die Begleitveranstaltungen laufen bis Ende Mai.