Hauptsache, sie bringen Geld

■ Morgen wird das Hauptkontingent der multinationalen Friedenstruppe in Albanien eintreffen. Im Süden des Landes betrachtet man die "humanitäre Mission" der Europäer mit Skepsis. Aus Vlore Werner Raith

Hauptsache, sie bringen Geld

Den Empfang seines Chefs am Samstag in Tirana hatte sich „er Checco“ eigentlich anders vorgestellt: „irgendwie intensiver, engagierter von seiten der Albaner, auch seitens der Presse.“ Trotz der massigen Figur von Beniamino Andreatta, Verteidigungsminister der Italienischen Republik, und trotz der Anwesenheit der gesamten albanischen Regierungsspitze auf dem soeben von den Italienern übernommenen Flughafen von Tirana ist in den Nachrichten alles „auf die hinteren Plätze geschoben“ worden.

„er Checco“, der seinen wirklichen Namen niemals nennt, ist in Zivil und gehört zu jenen Leuten, die bereits lange vor dem eigentlichen Beginn der Friedensmission „Alba“ in den Balkanstaat eingerückt sind: Agenten, die herausbekommen sollten, wo man die Posten aufstellt, welche Straßen man kontrolliert, aus welchen Landesteilen man sich besser heraushält. In dieser Eigenschaft hat „er Checco“ auch mit allerlei undurchsichtigen Leuten zusammengearbeitet, so mit jenem Menschenschlepper, der uns nun an Orte führt, die eigentlich keinen Zutritt erlauben oder aus anderen Gründen zu meiden sind. „Ihr hättet uns das mit euren Medienwünschen bloß sagen müssen“, sagt der Führer, den sie Vladimir nennen, „dann hätten wir schon dafür gesorgt, daß euer Verteidigungsminister mehr Fernsehpräsenz bekommt.“

Derlei Angebote lehnt „er Checco“ dankend ab. „Ihr hättet da wohl erst mal eine Bombe auf den Flugplatz gelegt, was?“ vermutet er. Vladimir grinst und begreift die Anspielung sofort; tatsächlich hat in Sarajevo eine unter einer Brücke gefundene Sprengladung den Papstbesuch zu einem weitaus spektakuläreren Ereignis gemacht und die Aufmerksamkeit von Albanien abgezogen. „Dann noch dieser Brand in Turin“ ... „er Checco“ erweckt fast den Eindruck, als hätte jemand den Dom, in dem das angebliche Schweißtuch Christi aufbewahrt wird, angezündet, nur um die Nachrichten aus Albanien uninteressant zu machen.

Besonders wurmt „er Checco“, daß Andreattas Besuch vor allem in Albanien selbst in den Hintergrund geraten ist. „Daran ist dieser Hampelmann schuld“, sagt er. Fast gleichzeitig mit Andreatta ist in Tirana der Sohn des ehemaligen albanischen Königs Zogu, Leka, gelandet, um seinen Anspruch anzumelden. Und die paar tausend Menschen, die zum Flughafen gekommen waren, standen seinetwegen da, nicht etwa zu Ehren des italienischen Friedensbringers Andreatta. Dabei habe „dieser Kerl doch wirklich keinerlei Rechte“, meint „er Checco“. „Der Zogu hat sich 1928 doch einfach selbst zum König ausgerufen, und wir haben ihn daher 1939 einfach wieder vertrieben.“

Während Andreatta mit drei offiziellen Begleitfahrzeugen vorlieb nehmen mußte, hat den Kronprätendenten ein massiver Kordon von Menschen mit Fahnen ins Stadtzentrum eskortiert. Die drei von der Regierung organisierten Transparente „Wir grüßen die Friedenstruppen“ hatten die abkommandierten Jubler ohnehin vor Andreattas Ankunft wieder eingerollt.

Auf der Fahrt in den Süden zeigt sich plötzlich, daß „er Checco“ in den anderthalb Monaten seiner Späharbeit immerhin eines gelernt hat: seine Haut zu retten. Hinter uns knallt es, und wie ein Stuntman hechtet er aus dem langsam fahrenden Rover hinaus in den Straßengraben. Der Knall kam, wie sich herausstellt, von einem platzenden Lastwagenreifen. Aber immerhin, von uns Laien hat keiner angemessen reagiert, wir haben nur die Köpfe eingezogen.

„Dort drüben“, berichtet „er Checco“, nachdem er sich gesäubert hat und wir uns Selenice nähern, „könnte man ohne weiteres ein Depot für unsere Leute einrichten“: ein großes, offenbar geräumtes Gebäude, bei dem man noch die Ränder abgerissener KP- Symbole erkennt, möglicherweise vordem eine Parteischule. „Aber unsere Chefs wollen nicht allzu weit vom Meer campieren.“ „er checco“ lacht. Viel hält er offenbar nicht vom Engagement der Friedenstruppen. „Hier“ – er zeigt dabei auf ein weites, flaches Feld – „würde ich, ehrlich gesagt, eine Landepiste für unsere Transportmaschinen anlegen. Ist doch besser, als alles von Tirana hierherzubringen.“

Je mehr wir uns Vlorä nähern, der Hafenstadt im Süden des Landes, um so wortkarger wird er; Vladimir übernimmt jetzt das Kommando. „Die Leute hier mögen die Italiener“, beruhigt der uns, „auch wenn einige von ihnen bei diesem Unglück im Kanal von Otranto Verwandte verloren haben.“ Am Karfreitag waren an die 80 Menschen ertrunken, als eine italienische Fregatte ein Flüchtlingsschiff gerammt hatte. „Voraussetzung ist allerdings“, sagt er emotionslos, aber entschieden, „die bringen genug von dem mit, was wir hier brauchen: Lebensmittel, Medizin, vor allem aber Geld, Geld, Geld.“ Irgendwie ist der Begriff „humanitäre Hilfe“ den Skipetaren suspekt. „Darunter kann man ja vielleicht auch Gebetbücher verstehen“, mein Vladimir. „Und das reicht nicht.“

Im Morgengrauen taucht die Hafenzone von Vlorä auf. Das Gelände war während der Herrschaft Enver Hodschas in den siebziger Jahren eine der moderneren Anlagen Albaniens: eine Militärakademie, zahlreiche Docks, Entladevorrichtungen, breite Transportwege. Nach Durräs im Norden war diese 75.000-Einwohner-Stadt die zweitwichtigste Anlegestelle für die chinesischen Frachter, die in der Periode des Kalten Krieges und der Eiszeit zwischen Tirana und Moskau Versorgungsgüter brachten. „Die Chinesen wußten immer, was wir brauchten. Sie haben uns nicht fett gemacht, aber wir hatten das, was notwendig war“, sagt Vladimir in einem Anflug von Nostalgie.

Während einer Essenspause hat er seine Mobil-Schüssel aufgestellt und einige Fernsehbilder hereingeholt. „Immer noch Papstbesuch und Brand in Turin“, murrt er. Dann aber plötzlich Aufnahmen aus dem Gebiet, wo wir uns gerade befinden: „Da sind doch irgendwelche Schweine durchgebrochen“, flucht er, „das sollte nicht gesendet werden dürfen.“ Gerade so als würden Menschenschmuggler wie Vladimir nur für italienische Agenten arbeiten und nicht auch Journalistengeld einstreichen.

Ein Mann berichtet in der Sendung, „daß hier die Studenten der Kadettenschule Anfang März eine friedliche Demonstration veranstaltet haben, worauf die Polizei zu schießen begonnen hat und einiges abgebrannt ist“. Schwarze Rußstreifen an einigen Fenstern zeigen, wo das Feuer gelodert hat, ansonsten aber scheint nicht allzu viel in die Brüche gegangen zu sein.

Zeichen von Unruhe oder Feindseligkeit den internationalen Kontingenten gegenüber gibt es nicht. Eher erstaunt es, wie menschenleer Vlorä ist, nicht nur in der militärischen Zone. „Als ob sich alle versteckt hätten“, meint „er Checco“. „Was willst du denn?“ fragt Vladimir und dreht sich eine Zigarette, „hier sind ein paar tausend Leute nach Italien abgehauen, hier haben sie die Waffendepots geplündert, hier wissen sie: Auch wenn noch so viele Hilfsgüter ankommen, sie werden, internationale Friedenstruppe hin, Soldaten her, doch wieder in den Händen von Geschäftemachern landen, von denen man nur was kriegt, wenn man ihnen heimlich was zusteckt. Warum also sollten die Leute vor die Tür gehen?“

Immerhin: Einige Graffiti zeugen doch davon, daß man speziell die Italiener erwartet — und nicht immer mit freundlichen Gefühlen. An einer Hauswand steht: „Unsere Freunde aus Brindisi, sie seien willkommen“. Etwas zweideutig, schließlich könnte sich dies genausogut auf jene zehntausend Flüchtlinge beziehen, die die Italiener baldmöglichst wieder nach Albanien abschieben wollen. Eine andere Inschrift besagt: „Italiener, wir tun euch nichts.“ Dahinter hat eine andere Hand gekritzelt: „außer euch den Arsch aufreißen, ihr Schweine“.