Arbeitgeber nehmen Streik in Kauf

■ Im Streit um die 32-Stunden-Woche kündigt Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt harten Widerstand an. Die Gewerkschaften zeigen sich gespalten: ÖTV fordert Arbeitszeitverkürzungen, aus der IG Chemie kommt Kritik

Berlin (taz) – Dieter Hundt, Präsident der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände (BDA), ist zu allem bereit. „Wenn uns Unzumutbares wie die 32-Stunden-Woche abverlangt wird, dann muß die Kontroverse ausgetragen werden“, sagte er gestern. Notfalls nimmt er auch einen Streik in Kauf. „Daß wir den heldenhaft geführten siebenwöchigen Arbeitskampf gegen die 35-Stunden-Woche 1984 nicht durchgehalten haben, mag man beklagen. So ist es aber nun einmal, und wir haben daraus gelernt. Wir werden uns mit aller Macht und aller Geschlossenheit gegen die weitere generelle tarifliche Arbeitszeitverkürzung stemmen.“

Hundt reagierte auf den Vorschlag von IG-Metall-Chef Klaus Zwickel. Dieser hatte letzte Woche als nächstes Ziel in der Tarifpolitik die 32-Stunden-Woche ohne vollen Lohnausgleich gefordert – und dafür die Unterstützung von SPD-Chef Oskar Lafontaine gefunden. Gestern schlossen sich zudem sechs Einzelgewerkschaften des öffentlichen Dienstes dem IG-Metall-Vorschlag an. ÖTV-Chef Herbert Mai versicherte, in der Tarifrunde 1998 werde es ebenfalls um die Frage nach Arbeitszeitverkürzungen ohne vollen Lohnausgleich gehen. Mai weiß die Gewerkschaften der Eisenbahner Deutschlands, die Gewerkschaft der Polizei, die Deutsche Postgewerkschaft, die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft und die Deutsche Angestellten-Gewerkschaft hinter sich. „Eine breite gewerkschaftliche Front ist wieder aufgebaut, ganz wie in den 80er Jahren für die 35-Stunden-Woche“, sagte er.

Der von BDA-Chef Hundt angekündigte Großkonflikt im Metallbereich steht freilich erst bei der nächsten Tarifrunde 1999 an. Für das kommende Jahr ist eine Lohnerhöhung von 2,5 Prozent bereits ausgehandelt.

Aber die Reihen sind nicht ganz so fest geschlossen, wie ÖTV-Chef Mai annimmt. Mit Verwunderung verfolgt Dieter Pienkny die Debatte um die Arbeitszeitverkürzung. Der Sprecher des DGB in Berlin sagte gegenüber der taz, „man muß sich die Branchen ansehen, in denen dies möglich ist. Ein Allheilmittel ist die Arbeitszeitverkürzung beileibe nicht.“ Im Einzelhandel liege der Spitzenverdienst für eine Verkäuferin bei rund 2.400 Mark brutto. Bei einer Arbeitszeitverkürzung müsse mit Lohneinbußen zwischen 15 und 20 Prozent gerechnet werden. Pienkny: „Von so einem geringen Gehalt kann niemand leben.“ Der Vorschlag von Zwickel könne nur in Betrieben mit hohem Lohnniveau umgesetzt werden, etwa in der Autoindustrie.

Auch bei der IG Chemie, Keramik und Papier sind kürzere Arbeitszeiten keineswegs willkommen. Zumindest in den neuen Bundesländern nicht. Dort gilt derzeit noch die 39-Stunden-Woche. Arbeiter im unteren Lohnbereich erhalten dafür 2.500 Mark brutto. „Da ist kein Spielraum drin für eine verkürzte Arbeitszeit ohne vollen Lohnausgleich“, gibt Hermann Borghorst, IG-Chemie-Sprecher für Berlin, Brandenburg und Sachsen zu bedenken. Zwickels Vorschlag sei „außerordentlich problematisch“. Gleichwohl belebe er die Debatte, die „verfahrene Lage in der Arbeitsmarktpolitik“.

Annette Rogalla