„Fällt da mein Schwanz ab?“

■ PädagogInnen an der Bremer Uni erstellen Studie zum Sexualkundeunterricht: Statt Biologie sollten mehr Gefühle, Ängste und abstruse Fragen thematisiert werden

Der neunjährige Thomas war schockiert: Mit nacktem Po hatte da eine Frau im Fernsehen einfach Gabeln verbogen. Wenn sie das auch beim Sex macht? Kann dabei der Schwanz abfallen? Ängstliche Fragen, die nach einer neuesten Untersuchung der Bremer Uni unbedingt in den Sexualkundeunterricht gehören. Denn statt stupide die Anatomie von Eizellen zu studieren, sollte mehr Platz für Ängste, Gefühle und abstruse Fragen sein. Das ist der Ergebnis einer Uni-Studie, bei der 337 Kinder aus der dritten bis sechsten Klasse befragt wurden.

Das Kind als sexuelles Wesen ist Mittelpunkt der Untersuchung, die drei Erziehungswissenschaftler auf die Beine gestellt haben. Neue Ideen für LehrerInnen sollten Ziel der Studie sein. Dazu wurden Kinder im Alter von neun bis 13 Jahren nach ihren Wünschen befragt, „weil es zu dieser jungen Altersgruppe noch relativ wenige Forschungsergebnisse gibt“, erklärt Projektmitarbeiter Andreas Gluszcynski. Dabei geht es bei ihnen schon in der Grundschule erotisch zur Sache: Der erste Kuß, die erste Liebe, das erste erotische Erlebnis: All das spielt sich schon auf dem Schulhof ab.

Mit solchen Gefühlen aber hat der heutige Sexualkundeunterricht in Bremen nicht viel zu tun, fanden die ForscherInnen heraus. „Was ist eine Pollution?“, „Wie sieht eine Eizelle aus?“oder „Was passiert bei der Menstruation?“, sind Fragen, die gemeinhin auf dem Lehrplan stehen – für einen Sexualkundeunterricht, der seit Anfang der 70er Jahre in Grundschulen gelehrt wird und sich vor allem der Aufklärung über körperliche Funktionen sowie der Hygiene verschrieben hat. Originalton eines Antwortkärtchens aus dem Unterricht zur Frage: „Was ist eine Eizelle?“: „Eine Eizelle sieht ganz anders aus als ein Vogel-ei. Die Eizelle hat innen keinen Dotter, sondern einen Zellkern. Darum herum ist Gewebe. Sie ist ungefähr so groß wie ein Loch, das eine Stecknadelspitze macht.“Dabei hatten die in der Studie befragten Kinder ganz andere Interessen angegeben: Über Penis, Scheide oder Schwangerschaft fühlten sich fast alle bereits gut informiert. Ob durch die eigenen Eltern, die Zeitschrift „Bravo“oder Radiosendungen wie RB4 „Gefühlsecht“: „Aufklärung wird schon von so vielen Seiten geleistet. Das ist nun wirklich nicht mehr das Problem“, sagt der Projektmitarbeiter Andreas Glucszcynski.

Problematisch sei vielmehr, daß durch „die Medien bei den Kids so viele Ängste auftauchen“. Softpornos auf Sat 1 und die durch sie entstehenden Gefühle könnten durchaus in der Schule thematisiert werden, findet Gluszcynski. „Wenn sie diese furchtbaren Softpornos sehen, werden sie mit fürchterlichen Rollenklischees konfrontiert“, sagt der wissenschaftliche Mitarbeiter. Solche Dinge müßten auch im Unterricht angesprochen werden. Auch die von Mädchen angehimmelten Boygroups könnten Thema sein: Denn von den befragten Jungs gaben satte 20 Prozent an, mit ihrem Aussehen nicht zufrieden zu sein. „Das ist ein erschreckendes Ergebnis und zeigt, daß mittlerweile auch schon kleine Jungen mit solchen Schönheitsidealen zu kämpfen haben.“

Doch um solche Dinge zum Thema zu machen, plädiert die Forschungsgruppe für zum Teil getrenntgeschlechtlichen Unterricht. Vor allem die befragten Mädchen gaben an, gerne auch mal unter sich zu sein, „weil man sich dann besser aussprechen kann. Mit allen traut man sich das nicht so“, antwortete ein Mädchen.

„Ficken“, „Bumsen“oder „Blasen“: Diese Worte nehmen Kids wie selbstverständlich in den Mund – nicht aber die LehrerInnen. „In den Grundschulen sind die meisten Lehrkräfte um die 50. Da fällt es oft schwer, über z.B. Homosexualität oder Pornos offen zu reden“, weiß Projektmitarbeiter Glusczynski.

Doch an dem Alter will Grundschullehrerin Christina Ehlers dieses Problem nicht unbedingt festmachen: „Das hängt auch von der Persönlichkeit ab“, sagt sie. Ihre Klasse hat bei der Befragung mitgemacht und wird auch in der zweiten Forschungsphase des Uniprojektes an einem Klassengespräch teilnehmen. „Wir thematisieren mittlerweile auch andere Dinge im Unterricht“, sagt sie, berichtet aber von Kindern, die dabei schon einen roten Kopf bekommen haben. „Schamgrenzen wahren“, lautet auch der Grundtenor der Uni-Studie, „wir wollen die Kinder schließlich nicht ausfragen“, so Andreas Glusczynski.

Im September soll die zweite Forschungsphase beendet sein. Dann bekommen Bremens LehrerInnen einen Leitfaden für „schülerorientierten Sexualkundeunterricht“an die Hand. Dann sind in einigen Klassenräumen erst mal rote Köpfe angesagt – bei soviel neuer Offenheit. Katja Ubben