■ Merkwürdige Hörer in Telefonzellen
: Doch nicht Magenta!

Daß man mit ISDN-Telefonanschluß laut Werbung bei fremden Menschen „makeln und anklopfen“ können soll, war schon einigermaßen befremdlich. Jetzt aber scheint die Telekom auch noch in die Hände eines irren Wissenschaftlers – eines Farbpsychologen – geraten zu sein. Es begann vor einigen Wochen mit einer weit abgelegenen, nächtlich unbeleuchteten Telefonzelle, die nicht weiter aufgefallen wäre, wäre da nicht dieser seltsam leuchtende Telefonhörer gewesen: wahrscheinlich die Einzeltat eines wegen Hörermangels verzweifelten Monteurs.

„Das spart Geld und steigert euren miesen ,shareholder value‘“, meinte ein Freund, dem man sich unvorsichtigerweise als T-Kleinaktionär offenbart hatte. Um meine Unternehmensteilhaberschaft nicht so abstrakt erscheinen zu lassen, wähnte ich mich immerhin als Pate der (gelben!) Telefonzelle um die Ecke. „Ruf doch Ron Sommer an und sag ihm, daß sie das bloß nicht in deiner Zelle versuchen sollen. Oder Manfred Krug...“

Beim Radfahren verdreht man den Kopf plötzlich nach Telefonzellen. Und wird Zeuge einer ästhetischen Großoffensive, mit der die Telekom nicht nur potentielle Konkurrenten in Angst und Schrecken versetzt, sondern auch Menschen, die immer noch kein Handy haben (zum Beispiel weil E-Plus diese Schwatzkästen in grausigem Türkis verkauft). Systematisch tauscht die privatisierte Telekom schwarze gegen pinkfarbene, nagelneue Hörer aus.

Nicht nur in Berlin wird seit Wochen ausgewechselt, in allen deutschen Telefonzellen soll es den schwarzen Hörern an den Kragen gehen. Laut Telekom tausche man nur die dem „Vandalismus“ zum Opfer gefallenen Hörer aus. Was aber natürlich nicht wahr ist. Neue schwarze Hörer werden nicht mehr bestellt. Eine wahre Farbkatastrophe bahnt sich damit vor allem für gelbe Telefonhäuschen an, die es noch bis ins nächste Jahrtausend geben soll.

Menschen, die einige Zeit im Urlaub waren, trauen sich kaum, vom Flughafen aus anzurufen, sie halten die Geräte für Spielzeugtelefone. „Du Schatz, rate mal, was ich gerade in der Hand halte“, so oder ähnlich beginnen in letzter Zeit immer mehr Gespräche und enden entsprechend schnell. Die Farbe Magenta, die in etwa so alienhaft aussieht, wie sie heißt, harmoniert leider mit keiner anderen, Menschen bekannten Farbe. Der Duden nennt eine italienische Stadt als Namensgeber. Wie es da wohl aussieht?

Inzwischen kommt es vor Doppelzellen zu Schlangen vor dem Häuschen mit schwarzem Hörer (noch scheint die Telekom gnädig jede zweite Zelle zu verschonen) – wer macht sich schon gern öffentlich zum Clown. Kinder zeigen mit dem Finger auf Leute, die denken, sie könnten einfach mal so den Rest ihrer Telefonkarte vertelefonieren – und dabei vergessen, daß ihre Jacke quietscheblau ist.

Letztens wäre ich fast mit dem Rad gestürzt. Eine Frau preßte einen magentafarbenen Hörer an ihre grün geschminkten Lippen. Modebewußte sollten in Zukunft neben Groschen und Telefonkarte einen magentafarbenen (auch anilinrot genannt) Lippenstift bereithalten. Welches Telefonoutfit aber soll der für grelle Stadtmöbel Sensibilisierte tragen, der meine Zelle betritt? Die ist immer noch postgelb, der Hörer seit gestern aber telekommagenta. Die Entdeckung versuchte ich durch einige Biere in der nächsten Kneipe zu verarbeiten. Als ich einen Freund anrufen wollte, glaubte ich zunächst an Verfolgungswahn – auch hier hatten die Monteure stumm ihren Auftrag ausgeführt und die rotlilane Spur der Verwüstung bis neben den Tresen verlängert.

Mister Sommer, please, stoppen Sie den Magentaterror! Oder tragen Sie zur Strafe als Zeichen beispielhaft verinnerlichter Corporate Identity Socken, Schlips und Jackett in dieser Farbe (vorbildhaft das Radteam Telekom)! Sonst kaufe ich mir endlich wieder eine Spraydose. Farbe: Gelb. Andreas Becker