: Mit Bulldozern gegen Träume
Palästinenser haben sich auf einem Hügel bei Har Homa südlich von Jerusalem niedergelassen, um gegen den Bau der umstrittenen israelischen Siedlung zu protestieren ■ Aus Jerusalem Georg Baltissen
Die Augen können sich nicht sattsehen. Selbst vom kleineren Dschebel Abu Diq, gleich gegenüber Har Homa oder Dschebel Abu Ghneim, schweift der Blick in alle vier Himmelsrichtungen über steinige, felsige Hügel. Kleine Dörfer krallen sich an den Hängen fest. Auf den Hügelkuppen in der Ferne wirken die palästinensischen Städtchen Beit Sahour und Betlehem wie Trutzburgen. Der helle, manchmal sandfarbene Ton der Häuser gleicht der Farbe des Gesteins, das aus dem Grün der Hügel herauszuwachsen scheint. In den Tälern glänzen vereinzelt dunkelbraune Ackerböden. An den Hängen terrassierte Felder und Wiesen, eingerahmt von dicken Mauern aus aufgetürmten Felsbrocken, die Stück um Stück von Menschenhand zusammengetragen wurden. Fürwahr ein Ort, um ein Haus zu bauen, sich niederzulassen und das Leben zu genießen.
Doch ein schrilles Geräusch aus dem Zusammenprall von Stein und Metall holt jeden Träumer in die Wirklichkeit zurück. Ein Bulldozer schlägt eine Schneise durch den einzigen pinienbewachsenen Hügel der Landschaft. Zertrümmerte Steinbrocken rollen den Abhang hinunter. Westlich des Pinienhügels windet sich ein breites Asphaltband serpentinenförmig bis zum Fuße des Har Homa, wo ein Schlagbaum, eine Baracke und ein israelisches Armeezelt den Zutritt zum Hügel verweigern. Militärisches Sperrgebiet, um den Bauplatz für die umstrittene israelische Siedlung auf dem Hügel südlich von Jerusalem zu schützen.
Armeezelte stehen auch auf dem Dschebel Abu Diq. Vier Stück. Daneben zwei kleinere Iglus. Eine grüne Plastikplane ist so geschickt gezogen und verknotet, daß sie aussieht wie ein Dschik, ein beduinischer Empfangsraum. In der Mitte des Dschiks ein Kanonenofen, darauf ein großer Wassertopf aus Aluminium. Weiße Plastikstühle warten auf Besucher. Doch die lassen sich an diesem Freitagmorgen nur spärlich blicken. Zwar spendet die Aprilsonne ein wenig Wärme, doch weht ein kalter Wind aus der judäischen Wüste über die Hügellandschaft östlich von Beit Sahour. Vor den Zelten sind Spielgeräte für Kinder aufgebaut: drei Schaukeln, zwei Rutschbahnen mit Matten und eine Wippe. Drei Kinder streiten sich um eine der Schaukeln. Wasser spendet ein großer Metallbehälter, der auf einem mächtigen Felsbrocken ruht und am unteren Ende mit einem Hahn versehen ist. Ein Protestbanner der israelischen Friedensbewegung hat der Sturm der vergangenen Tage aus den Angeln gehoben. Es liegt zerknittert und unbeachtet am Boden. Auf der Spitze des Hügels ragen drei Holzkreuze in den Himmel und erinnern an die Hinrichtungsstätte in Golgatha. Von einem Kreuz ist der Querbalken abgebrochen.
„Die israelische Regierung hat den Friedensprozeß getötet“, sagt Salah Tamari, „und jetzt verlangen sie von uns, daß wir den Totenschein ausstellen.“ Der Abgeordnete des Distrikts Betlehem im palästinensischen Parlament harrt seit 28 Tagen auf dem Berg aus. Herumliegenden Müll sammelt er persönlich ein und wirft ihn in eine eigens herangeschaffte Mülltonne. Keiner springt auf, um ihm zu helfen.
Als Führer der palästinensischen Gefangenen im berüchtigten Lager Ansar im Südlibanon hat er sich nach der israelischen Invasion 1982 einen Namen gemacht. „In Ansar war Krieg, für jeden erkennbar. Hier ist Frieden. Das ist der ganze Unterschied“, sagt er. Müde sieht er aus und abgekämpft. „Es ist nicht nur wegen des Hügels, es ist das Konzept von Frieden, das dahintersteht“, fügt er hinzu. „Wir werden nicht als gleichberechtigt betrachtet.“ Und Wut und Ohnmacht stehen ihm ins Gesicht geschrieben.
Nach und nach treffen einige Dorfvorsteher und Scheichs der umliegenden Dörfer ein. Ein kleiner Parkplatz auf der Kuppe des Hügels direkt vor den Holzkreuzen füllt sich mit BMWs, Landrovern, VW-Bussen. Respektvoll begrüßen die lokalen Würdenträger ihren Abgeordneten und nehmen dann in dem Kreis von Plastikstühlen Platz. In ihren langen braunen Jalabiyas und der schwarzweißen Kuffiya sehen sie aus wie verwegene Krieger längst vergangener Zeiten. Doch sie sind nur gekommen, um friedlich ihren Protest auszudrücken. Arabischer Kaffee wird ausgeschenkt, an Würdenträger und Gäste gleichermaßen. Die Demonstration gegen den Bau der Siedlung Har Homa wird sich heute auf ein Freitagsgebet auf dem Dschebel Abu Diq beschränken. Erwartet wird auch eine Delegation zu Pferd, die am frühen Morgen aus Anata, nördlich von Jerusalem, losgezogen ist.
Ein Stück des Hügels Abu Diq, auf dem die Zelte stehen, gehört Ahmad Rashid Shahin. Der 55jährige wohnt in Beit Sahour. Fast 30 Jahre hat er in Kuwait als Buchhalter gearbeitet, bevor ihm der Golfkrieg wie 400.000 seiner Landsleute zum Verhängnis wurde. Tränen treten ihm in die Augen. Er muß ein paarmal schlucken. „Wer brauchte diesen Krieg?“ fragt er. „Die politische Führung hat Fehler gemacht“, fügt er vorsichtig hinzu und meint damit die eigene. Umstandslos wechselt er Thema und Region: „Frieden“, sagt er, „bedeutet nehmen und geben. Aber die Israelis nehmen nur. Wir haben all die Jahre Steuern gezahlt, aber unsere Straßen sind kaputt, es gibt keine Arbeit.“ Von dem Geld, das er am Golf verdient hat, hat er seinen sechs Kindern eine gute Ausbildung geben können und auch ein Haus gebaut in Beit Sahour. Aber jetzt ist das Geld alle, und Arbeit hat er nicht.
Im Tal, unterhalb des Dorfes Umm Tuba, tauchen sechs Reiter auf. Zehn Minuten später haben sie den Hügel erklommen. Aufgeregt erzählt einer der Reiter, daß die israelische Polizei sie mehrmals aufgehalten habe. Alle, die palästinensische Fahnen bei sich trugen, wurden festgehalten und zurückgeschickt. Nur sechs von fünfzehn Reitern und Pferden erreichten ihr Ziel. Die Pferde, drei Schimmel, ein Rappe und zwei Braune, sind reinrassige Araberpferde. Die Pferde sind buntgeschmückt, mit rot-grün-weißen oder rot-grün- blauen Bändern.
Der Imam hat soeben mit dem Freitagsgebet begonnen. Einer der Gläubigen hockt noch vor dem großen Wasserbehälter und nimmt die rituellen Waschungen vor. Die meisten anderen haben schon auf einer ausgebreiteten Plastikplane Platz genommen. Dutzende Paar Schuhe stehen am Rande der Plastikplane. Die Lautsprecheranlage trägt die Worte des Imam weit in die Hügellandschaft hinein. Er spricht frei, im Wechsel zwischen Predigt und Gebet. Weitere Wagen fahren vor, darunter auch solche mit rotem Kennzeichen und dem Buchstaben F für Filastin, palästinensische VIPs. Sogar zwei Minister sind darunter. Justizminister Freij Abu Medein und Kommunikationsminister Ahmed al- Falludschi. Der Imam läßt sich die Gelegenheit nicht entgehen, ein paar mahnende Worte an die Sulta wataniya, die palästinensische Autonomiebehörde, zu richten.
Nach dem Gebet eilt Salah Tamari zum Justizminister. „Abu Mohammed, Abu Mohammed“, ruft er und schließt den Minister in seine Arme. Doch ausländische Presse und palästinensische Fernsehkameras lassen den Schritt von Abu Mohammed zögerlich werden. Ob er erwarte, daß die USA Netanjahu zu einem Baustopp bewegen werden? „Nein“, sagt Abu Mohammed, „von den USA erwarten wir nichts. Sie werden uns nicht helfen.“ Und die Europäer? „Europa sucht seine Rolle im Nahen Osten. Es will nicht nur der Zahlmeister sein. Und es wird seine Rolle finden.“
Nach diesen sybillinischen Worten hat Abu Mohammed keine Chance mehr, dem Drängen des Betlehemer Abgeordneten zu entgehen. Auf Har Homa gegenüber hat die Schabbatruhe eingesetzt. Die Gläubigen haben ihre Schuhe wieder angezogen. Die Plastikplanen werden zusammengerollt. Aus dem Lautsprecher dröhnen jetzt nationale Lieder. Der Wind aus der judäischen Wüste rüttelt kräftig an den palästinensischen Fahnen.
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