Wenn Kriegsberichterstatter Koffer packen

■ Neu im Kino: Der Mostar-Dokumentarfilm „Nach Saison“/ In einer Hauptrolle: Der Bremer Hans Koschnick

Am liebsten möchte er Hindu sein, das sei am unkompliziertesten, erzählt ein Bäcker, der sein Geschäft im Ostteil der geteilten Stadt Mostar hat. Sonst könne es passieren, daß man umgebracht werde, bloß weil man den falschen Vornamen trägt. Der Bäcker aus Mostar ist einer der wenigen Klarsichtigen, die die Zukunft der geteilten Stadt ohne Verblendung sehen – und so mutig sind, es vor laufender Kamera zu sagen.

Die Dokumentaristen Pepe Danquart (für „Schwarzfahrer“Oscar-prämiert) und Mirjam Quinte haben sich im Sommer 1994 in die Stadt aufgemacht, in der seit dem Krieg eine Demarkationslinie die verfeindeten Lager trennt. Die Filmemacher sind gekommen, als die Kriegsberichterstatter ihre Koffer gepackt hatten – „Nach Saison“.

Zwei Jahre lang haben Danquart und Quinte das Schicksal der Menschen in der Stadt verfolgt, in einem gut zweistündigen Dokumentarfilm in Schwarz-weiß. Einer der Hauptakteure: Hans Koschnick, der während seiner fast zweijährigen Amtszeit als EU-Administrator im Hotel Ero auf der kroatischen Seite der Stadt sitzt und das wiederherstellen soll, was man öffentliches Leben nennt.

Behutsam nähern sich die Dokumentarfilmer ihrem Thema, lassen Kinder sprechen, Jugendliche, Erwachsene, Alte – auf beiden Seiten. Nur keine Soldaten, das Interesse gilt den Zivilisten. Spürbar ist das Vertrauen, das die interviewten Mostarer in Danquart und Quinte haben; immer wieder suchten die beiden das Gespräch, jenseits der news. Ein schweigsamer Fotograf, der ausschließlich Häuser fotografiert, rhythmisiert den Film. Die Filmkamera begleitet ihn auf seinen unermüdlichen Gängen durch die Stadt. Und begleitet den nim-mermüden Hans Koschnick, im improvisierten Büro im Hotel, bei Sitzungen mit den Bürgermeistern der Stadt, bei der Einweihung von Hilfsprojekten. Mit teddybärartiger Kompaktheit tritt er auf. Stets präsent und die Agilität und den Optimismus ausstrahlend, die nötig sind, um an einer Aufgabe nicht zu verzweifeln, die nicht bloß die Lebensverhältnisse bessern, sondern auch die verstockten Haßgefühle der Kriegsparteien aufbrechen soll.

„Für uns ist Koschnick ein Kroate“, sagen die Muslime. Weil er im Westteil wohnt und sich nur selten im Osten habe blicken lassen. Bloß: Im Ostteil ist das meiste zerstört, Beirut nennen ihn die Mostarer und den Westteil: L.A. Weil der Westteil – an der Oberfläche – schon wieder wie eine moderne gesichtslose Stadt aussieht.

„Nach Saison“hat den langen Atem der Dokumentaristen, die wissen, daß 125 Filmminuten (von 100 Stunden gedrehtem Material) mit Spannungsbögen überbrückt werden müssen. Im klassischen „Wochenschau“-Bildverhältnis von 1:1,37 auf Film und Video gedreht, verlassen sich Danquart und Quinte ganz auf die Kraft der Bilder. Einzig aus dem ansonsten konservativen formalen Rahmen fallen die prätentiösen Kommentare. Es spricht: Klaus Theweleit. Verknappte Weisheiten, vorgetragen mit dem Nachdruck dessen, der es wissen muß.

Die Sympathien der Filmemacher für die Muslime im Ostteil Mostars sind dem Film klar anzumerken. Die Kroaten dagegen fallen durch starke Sprüche, unverhohlenen Chauvinismus und die mangelnde Bereitschaft auf, auch nur einen Schritt in Richtung des Gegners machen zu wollen. Sie haben die symbolträchtige alte Brücke zwischen den Stadtteilen gesprengt und scheinen die Behelfsbrücke, die UN-Soldaten gebaut haben, nicht zu brauchen. So haben es Danquart und Quinte – und Hans Koschnick – erlebt; so zeigen sie es.

Koschnicks Mission ist gescheitert; aufgebrachte Kroaten vor dem Hotel Ero bedrohen ihn und seine Mission, sabotieren seine Versöhnungsversuche. Da sabotiert die EU ihn, trägt seine Entscheidungen nicht mehr mit. Koschnick, äußerlich gefaßt wie stets im Film, habe mit der Stimmung unter den Kroaten gerechnet, wie er sagt. Es ist klar, daß es in seinem Innern anders aussieht. Alexander Musik

„Nach Saison“, vom 17. bis 19. April um 18 Uhr, vom 20. bis 22. April um 20.30 Uhr im Kino 46; außerdem am 25. April um 20 Uhr mit Diskussion – Hans Koschnick und Pepe Dankquart sind anwesend