Nulltarif mit Zukunft

■ Bei einer Nahverkehrsabgabe von 35 Mark könnte jeder umsonst die BVG nutzen

Eine Million Mark kostet laut Pressestelle der Berliner Verkehrsbetriebe die Umstellung auf das zum 1. März eingeführte Zonentarifsystem mit den höheren Fahrpreisen.

Die thüringische Stadt Gera zeigt, daß es auch anders geht. Mit der Einführung des 5-Minuten- Takts bei der Tram 1996 nutzen eine Million Fahrgäste den öffentlichen Nahverkehr der 128.000 Einwohner zählenden Stadt. Mit einem weiteren kräftigen Umsatzplus wird gerechnet, nachdem Anfang März das Tarifgeflecht aus 15 Tarifen durch ein System, in dem es nur noch Einzelfahrscheine, Tageskarten und Monatskarten gibt, ersetzt wurde. Auch an den Fahrpreisen wurde gespart: Statt zwei Mark kostet das Ticket nur noch 1,80 Mark, was von den Geraern begeistert aufgenommen wurde.

In Berlin hingegen werden Vielfahrer immer stärker zur Kasse gebeten, das neue „faire“ Tarifsystem enthält nicht einmal Fahrscheine für eine einzelne Zone. Außerdem ist das System keineswegs fair und flexibel: Durch die Abschaffung der kostenlosen Fahrradbeförderung für Besitzer von Zeitkarten muß nun jeder, der eine Umweltkarte im Abo kaufen will, vorher entscheiden, ob er in den nächsten zwölf Monaten a) ohne Fahrrad mit der BVG fahren, b) nur in den warmen Monaten das Rad mitnehmen, aber für das ganze Jahr den Zuschlag zahlen oder gar c) für jedes Fahrradmitführen eine Extrakarte lösen möchte. Doch gerade die Kombination von Fahrrad und öffentlichem Nahverkehr ermöglicht erst eine sinnvolle und umweltfreundliche Fortbewegung.

Durch Schwarzfahren entstehen der BVG nach eigenen Angaben 20 Millionen Mark Einnahmeverluste pro Jahr, weswegen 700 Kontrolleure auf Schwarzfahrerfang gehen. Damit liegen die Ausgaben für die Kontrollen weit über diesen 20 Millionen Mark. Leider kann man nicht fordern, die Kontrolleure ganz abzuschaffen, da dann niemand mehr bezahlt, was im momentanen System der Tod für die BVG wäre.

Vorstellbar wäre das hingegen bei einer Nahverkehrsabgabe von beispielsweise monatlich 35 Mark von jedem Berliner. Touristen könnten kostenfrei fahren, was ein riesiger Werbeeffekt wäre.

Die Kosten für Fahrkarten, Automaten und Kontrolleure würden wegfallen. Techniker könnten sich den wirklich wichtigen Dingen widmen, nämlich der Instandhaltung von Strecken und Fahrzeugen. Ehemalige Fahrkartenverkäufer könnten das Sicherheitsgefühl verbessern und diverse Serviceleistungen anbieten.

Allein diese beiden Punkte stellen einen nicht zu unterschätzenden Attraktivitätsgewinn dar. Statt dessen geht die BVG dazu über, Bahnhöfe unbesetzt zu lassen und Sicherheitskräfte zu beschäftigen, die den Fahrgast mehr einschüchtern als beruhigen.

Rechnet man nun mit 3,5 Millionen Menschen, die in Berlin und dem VBB-Umland diese Abgabe zahlen, dann kommt man auf 1,47 Milliarden Mark pro Jahr. Im Jahr 1995 (neuere Zahlen liegen erst ab Mai vor) nahm die BVG 973 Millionen Mark ein. Es gab einen Jahresfehlbetrag von 1,626 Milliarden Mark. Die letzte Erhöhung der Fahrpreise soll 38 Millionen Mark im Jahr bringen. Obiges Beispiel, welches in der Familie des Autors die Fahrkosten von 213 auf 140 Mark monatlich senken würde, hätte eine knappe Verdoppelung der BVG-Einnahmen zur Folge.

Das hätte enorme Vorteile: In Verbindung mit höheren Taktzeiten kann in vielen Fällen auf die Nutzung des Autos verzichtet werden. Wartezeiten im Stau, bei der Parkplatzsuche, an Ampeln entfallen. Dadurch kommt es zu wesentlicher Verkehrsentlastung gerade in der Innenstadt und in den Stadtbezirkszentren.

Doch auch für Personen, die beruflich auf das Auto angewiesen sind, hat dies positive Folgen: Sie sind schneller unterwegs, in derselben Zeit können Ärzte zum Beispiel mehr Hausbesuche machen, Vertreter mehr Kunden besuchen. Sebastian Sooth