Gibt es eine Lösung für die Denkmalsfrage?

■ Für eine Polyvalenz des Gedenkens. Gedanken zum Mahnmal für die ermordeten Juden Europas und dem dritten Kolloquium vom 11. April

Nachdem das dritte Kolloquium zum Mahnmal für die ermordeten Juden Europas wenig, um nicht zu sagen nichts Neues in Sachen Auslobung und Standort brachte, wäre es doch eine vielversprechende Idee, wenn sich die Veranstalter der Kolloquien überlegten, ob man es nicht zur Gewohnheit werden lassen könnte, sich im trauten Kreis der nun wohl aufs persönlichste bekannten Experten zusammenzusetzen und über die guten alten Zeiten und das Gedenken zu schwatzen.

Den Eindruck einer „Klönbude“ konnten die Kolloquien jedenfalls nicht immer verhehlen. Versöhnlich stimmt allerdings, daß gerade die dritte Diskussionsrunde einige pragmatische Vorschläge zum weiteren Vorgehen machen konnte.

Woher aber stammt nun das plötzliche, inflationäre öffentliche Interesse am Gedenken? Fünfzig Jahre nach Kriegsende und der Enthüllung faschistischer Greueltaten scheint dies doch ein wenig verspätet.

Haben sich die Deutschen jetzt etwa nach jahrzehntelanger Vorbereitung endgültig für den Kampf gestärkt, ihre Vergangenheit mit einem Schlag zu „überwältigen“? Oder läßt sich das Interesse etwa mit dem Umzug der Bundesregierung nach Berlin erklären, die in ihrer neuen Heimatstadt einen weiteren Programmpunkt der Hauptstadtunterhaltung für hochrangige ausländische Staatsdelegationen benötigt?

Das wäre schon eine Überlegung wert, da man etwaige Transport- und Eskortkosten vom Bundestag zum Mahnmal auf ein Minimum reduzieren könnte, bei seinem prädestinierten Standort in den ehemaligen Ministergärten.

Durch die unmittelbare Nähe des Standorts zu Hitlers einstiger Machtzentrale findet auch Otto Normaltäters Überzeugung sonnenklare Bestätigung, am Ort des Grauens, weit weg vom rosa Plüschsessel der eigenen Biederkeit zu (ge)denken.

Maßlose Monumentalität?

Wenig sinnvoll erscheint ebenfalls die Idee der Errichtung des Mahnmals vor den Toren des Bundestags. Denn auch hier zeigt sich die magische Mentalität Otto Normalverbrauchers, lieber rosa Plüschsessel als Verantwortung, die preiswerte Eintrittskarte in die Unmündigkeit, das Reich der wolllüstigen Gleichgültigkeit gegenüber jeglichen Unrechtstaten! Ein Problem, wenn auch ein geringfügiges, bei der Errichtung des Mahnmals in den ehemaligen Ministergärten könnte es vielleicht werden, inmitten des gewaltigen, nie abreißenden Verkehrsstromes sowie einer politischen Bürowüste zum Gedenken oder zur Besinnung zu kommen.

Erschlagend und wenig besinnlich scheint auch die bevorzugte Monumentalität der Entwürfe, die in ihrer Maßlosigkeit an so manches deutsche autoritäre Regime erinnern. Frei nach dem abgegriffenen olympischen Motto: Höher, schneller, weiter! Vielleicht trieb ja die Angst vor den verstorbenen Seelen zu solchen Höchstleistungen an, um ihr Aufsteigen durch eine tonnenschwere Grabplatte zu verhindern. Statt quantitativer Höhenflüge hätte man sich eher auf qualitative Tiefgänge beschränken sollen!

Nachdem nun aber Hunderte von Künstlern die Denkaufgabe, ein denkwürdiges Denkmal zu schaffen, als Denksportaufgabe wahrgenommen und ihr Denkvermögen und Denkschriften strapaziert und ohne große Denkfehler für Denkanstöße und Denkzettel für die Denkenden gesorgt haben, stellt sich nur eine Frage: Wie wird aus dem Denkenden ein Gedenkender, der ein Denkmal besichtigen möchte? Da hilft nur eins, eine geschickte Vermarktungsstrategie: Wir bieten ihnen „Trauer, Erschütterung und Besinnung in Scham und Schuld“ kostenlos...!

Der Vorschlag, jeweils am 27. Januar, dem Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus, jedes Jahres ein einjähriges Denkmal zu gestalten, der zu einer regen Fließbandproduktion der Ware Mahnmal führen und Deutschland in wenigen Jahren zum internationalen Überflieger auf dem Mahnmalssektor werden lassen würde, schlösse die Marktlücke Tätermahnmal! So mancher Stahlarbeiter würde begeistert den Vorschlaghammer schwenken! Deutschland wäre wieder wer! Getrost nach dem Motto: Alles ist eitel, auch das Gedenken! Das Mahnmal gehört zur Gedenkkultur wie das Denkmal zur Denkmalsdebatte. Lieber Denker, gibt es denn keinen Ausweg aus der Ausweglosigkeit eines statischen, zentralen Denkmals?

Lieber ein Ende ohne Kompromisse

Angesichts der Polyvalenz der Kunst und ihrer Ausdrucksmöglichkeiten könnte man doch auch eine Polyvalenz des Gedenkens und seiner Ausdrucksmöglichkeiten, nämlich nicht nur in Form von Denkmälern, geschweige denn monumentalen Zentraldenkmälern fordern! So individuell wie Täter und Opfer sind auch die Formen ihres Gedenkens.

Es darf nicht auf Biegen und Brechen ein zurechtgebasteltes zentrales Mahnmal geben, das nur einen Zweck erfüllt, nämlich den Mehrheitsgeschmack seiner Erbauer wiederzugeben. Lieber ein Ende ohne Kompromisse als ein Kompromiß ohne Ende! Friedrike Greulich/

Miriam Kühn