"X hoch 4 - aber in Ahaus"

■ Der siebzehnjährige Umweltaktivist Ulf Kemper über den Protest gegen das Zwischenlager für Atommüll in Ahaus, die Rolle der Jugendlichen dort und die Gewaltfrage

taz: Ulf, du engagierst dich in der Jugendgruppe der Unabhängigen Wählergemeinschaft in Ahaus, der UWGjugend, gegen das Zwischenlager für Atommüll. Hast du das Gefühl, der Protest in Gorleben stiehlt euch die Show?

Ulf Kemper: Nein, aber es ist nicht fair, daß nur so wenige zu uns kommen. Aber wir sind auch nicht so einfach mit Gorleben zu vergleichen. Die Betreibergesellschaft von Ahaus hat die Leute hier gekauft, indem sie Millionenbeträge an die Gemeinde spendete. Die Menschen im Wendland dagegen haben sich von Anfang an gegen das Endlager gewehrt. Wir sind aber nicht neidisch, sondern solidarisch. Daher sind wir auch ins Wendland gefahren; hoffentlich kommen sie auch zu uns. Unsere Aktionswoche heißt „x hoch 4“ – diesmal aber in Ahaus! Das zeigt: Der Widerstand hält an.

Warum organisiert Ihr einen speziellen Jugendprotest?

Jugendliche haben ihren eigenen Widerstand, weil wir am stärksten von der Atompolitik betroffen sind, am längsten unter den Folgen leiden werden.

Worum geht es euch vorrangig bei den Protesten?

Nicht nur um den Atommüll, denn ähnlich wie in Gorleben sammeln sich auch hier die Leute, die verdrossen sind über das ganze System. Immerhin haben wir zur Zeit eine Überproduktion von 30 bis 35 Prozent an Energie in Deutschland. Ein genauso großer Anteil an Energie wird in diesem Land durch Atomkraft gewonnen. Da stimmt was nicht. In der BRD wird nicht bedarfsorientiert gewirtschaftet, statt dessen leben wir im Überfluß.

Wie protestiert Ihr?

Wir lehnen Gewalt ab – bei gewaltfreiem Widerstand hat es der Staat außerdem schwerer, uns zu kriminalisieren. Eine andere Frage ist aber, wie wir Gewalt definieren. Gewalt gegen Personen kann auf keinen Fall Sache der Anti-Atom- Bewegung sein. Aber Sabotage und Sachbeschädigung aus politischer Überzeugung kann eine legitime Sache sein. Die Gewalt geht nicht von uns aus, sondern von manchen Polizisten und einigen gewaltbereiten Angereisten.

Wie bringt Ihr auf euren Aktionen Gewaltfreie und Gewaltbereite unter einen Hut?

Wir haben diesmal, im Mai, ein besonderes Konzept in Ahaus: Auf den Streckenabschnitten haben verschiedene Spektren mit ihren eigenen Widerstandsformen Platz.

Was hat sich geändert, seit in NRW Rot-Grün regiert?

Seit Beginn der Koalition zeigt sich die grüne Atompolitik in neuer Form. Sie richtet sich nach dem Koalitionsvertrag, der sehr schwammig formuliert ist und vielseitig auslegbar. Dort steht auch drin, daß nur Atommüll aus NRW nach Ahaus geliefert werden soll. Aber Atomrecht ist Bundesrecht; die Grünen können sich nicht vehement dagegen wehren. Aber die sogenannte Zwischenlagerung als Ganzes heißt Entsorgung: Seit 1972 steht im Atomgesetz, daß, wenn es keine gesicherte Entsorgung von Atommüll gibt, auch kein AKW weiterbetrieben werden kann. Doch inzwischen gelten schon die sogenannten Zwischenlager als Entsorgungsnachweis. Die Regierung sagt: In 40 bis 60 Jahren, wenn die Brennelemente soweit abgekühlt sind, daß sie endgelagert werden können, dann werden wir auch ein Endlager haben. Wenn jetzt die Grünen in NRW sagen, daß kein Atommüll außer aus NRW nach Ahaus kommt, dann haben sie damit schon so etwas wie einen Energiekonsens mit der SPD in NRW. Dagegen wehren sie sich auf Bundesebene! Das können wir nicht als Erfolg herausstellen. Im Koalitionsvertrag steht auch noch, daß das sogenannte Zwischenlager kein Endlager werden darf, wobei es eigentlich eins ist.

Was steht in der nächsten Zeit widerstandsmäßig in Ahaus an?

Vom 30.4. bis 3.5. findet eine Aktionswoche statt. Am Mittwoch geht's los mit einem Rockkonzert, dann ein großes Mai-Fest, organisiert von uns und der Bürgerinitiative. Am 2. und 3. Mai machen wir ein Widerstandscamp mit einer Mahnwache. Interview: Ilka Schröder