Ein Königreich für eine Utopie

■ Die taz ist gefordert, um einer Rückwärtsentwicklung entgegenzuwirken

Die taz ist volljährig. Das heißt nicht nur, daß seit der Gründung 18 Jahre vergangen sind. Die taz hat sich entwickelt, und sie ist heute eine andere! 18jährige machen die heutige Ausgabe und haben dabei bei weitem nicht soviel Anspruch, wie einst die heute ergrauten Alt-tazler.

Was ist links, was macht Jugendliche aus, und wo muß man ansetzen, um diese ganzen Fragen zu beantworten? Ist es wirklich die Zeitenwende von 1989, die alle Begriffe mit Fragezeichen besetzt? Steckt nicht mehr dahinter: womöglich, ich bin durchaus vorsichtig mit diesem Begriff, das Ende der geschichtlichen Entwicklung, das einer Gesellschaft ihre Utopien und damit Orientierung nimmt?

Eine ganz eigenartige Lethargie liegt über den Menschen, und ganz besonders betroffen sind die, die ihr politisches Denken erst nach dieser Zäsur von '89 begannen. Es ist nicht allein die nicht zu banalisierende Angst, keinen Ausbildungsplatz zu bekommen und sozial abzustürzen, die Orientierungslosigkeit streut. Dahinter steckt eine philosophische Leere, es fehlen unverbrauchte Utopien. Der Sozialismus ist verbraten, nicht etwa durch den Zusammenbruch des real existierenden Versuchs. Früher oder später, nicht zuletzt durch die sagenumwobene Globalisierung, wäre der Sozialismus als Ziel verlorengegangen, denn der Westlinken schwebte das Ostmodell ohnehin nie als Beispiel vor. Aber auch kleine gesellschaftliche Entwürfe scheinen ihre Glaubwürdigkeit und ihre Geltungsberechtigung zu verlieren, nicht nur für die Linke. Die parlamentarische Demokratie, scheinbar großer Sieger von '89, verliert in den internationalen Turbulenzen ihren Glanz. Gleichermaßen der Liberalismus, wenn auch Adam Smiths Gedanken in Form des Neoliberalismus wieder auftauchen.

Statt dessen erleben wir eine Rückwärtsentwicklung in der ganzen Welt. Als neue Form des Antikapitalismus halten Fundamentalismus und Nationalismus her, Verteilungskonflikte und damit alte gesellschaftliche Rollenmuster brechen in der gesättigt wirkenden westlichen Welt neu auf.

Was ist in Anbetracht solcher Entwicklungen eigentlich noch links? Wie geht man zum Beispiel mit der Globalisierung um, Flucht in den Nationalstaat oder Chance zur weltweiten Umverteilung? Was könnte darüber hinaus eine neue linke Utopie sein oder zumindest ein Utopiechen? Eine Zeitung, und gerade die taz mit ihrem Anspruch, muß Antworten suchen – mit und für uns. Korbinian Frenzel