Bilder-Rap und kaltes Sprechzimmer

■ „Junge Hunde“: Jonzi Ds „Lyrical Fearta“und „Die Rätsel der Turandot“von Wolfgang Feindt und Sabine Mohr

Der Typ, der da in ausgebeulter Armeehose und Turnschuhen auf die Bühne schlurft, sieht ganz vertraut aus. In Wirklichkeit aber ist er ein Fremder, kein Mensch hat ihn je in Hamburg gesehen. Deshalb nimmt es Wunder, daß bei seinem ersten Ruf ins Mikrophon – „Make some noise!“– das Publikum prompt losgrölt. Das müssen die jungen Menschen im Fernsehen gelernt haben oder auf Konzerten – deutsche Theatersozialisation jedenfalls kann für spontane lautliche Gefühlsäußerungen nicht verantwortlich gemacht werden.

Aber deutsches Theater und andere bürgerliche Darbietungsformen standen auch dem jungen Künstler auf der Bühne nicht Pate für sein Lyrical Fearta-Projekt. Jonzi D, schwarzer Engländer aus dem Londoner East-End, erhielt zwar seine Ausbildung an der London Contemporary Dance School, driftete aber schon lange vor seinem Abschluß 1993 in die HipHop-Szene ab. Er arbeitete mit MC Mell'O', einem der größten britischen Rapper, tourte, 22jährig, mit den Young Disciples und keine drei Jahre später mit Gangstarr. Dann entschloß er sich, Theater zum Hip-Hop zu bringen. So und nicht umgekehrt, darauf legt Jonzi D wert.

Auf der Kampnagel-Bühne funktionierte das bebilderte und bewegte Rappen anfangs nur mäßig. Zum einen sind die Jonzi D so wichtigen Texte in ihrer Komplexität aufgrund der Fremdsprachlichkeit schwer zu verstehen. Tiefsinn und Witz gehen gleichermaßen verloren, was hängen bleibt, klingt eher platt: No peace man, just misery“; Sometimes it's hard to tell what you feel“. Die endlosen Gewaltbeschreibungen erinnerten denn auch irgendwann weniger an England als an pubertäre Männerphantasien. Auch szenisch konnten die Pantomimen und Stroboskop-licht-Tänzereien nicht durch Originalität überzeugen.

Doch als Jonzi D begann, sein Thema der Identitätssuche persönlicher, sarkastisch und mit schlichteren Worten rappend und tanzend zu vermitteln, wurde er einzigartig. Wenn es ihm gelingt, theatralische Mittel souveräner einzusetzen, wird aus ihm ein großer lyrischer Hund werden. Christiane Kühl

Fr/ Sa, 19.30 Uhr, Kampnagel, k2

Ein Quadrat stolpert. Daneben schleppt sich ein Blaubein geschäftig auf und ab. Der Kaiserliche Hof bereitet sich auf das nächste Opfer der chinesischen Prinzessin Turandot vor. Heiraten soll sie, doch statt dessen stellt sie Rätsel, auf deren Lösungsweg die hoffnungsvollen Bewerber ihren Kopf verlieren. Natürlich ist die Totalverweigerin nicht eigentlich böse, nur verhärmt am anderen Geschlecht. Und das entsendet ihr mit Prinz Calaf einen ehrenwerteren Vertreter.

Die Bühne nimmt sich entsprechend dazu aus wie ein geometrisierter Uterus, Zeittunnel und Fußgängerüberweg zwischen zwei unversöhnlichen Universen in einem. Männliche, offizielle Geschäftigkeit hier, weiblicher Masochismus und Emigration da.

In Die Rätsel der Turandot, eine Gemeinschaftsproduktion von Wolfgang Feindt und Sabine Mohr agieren Gehörlose neben Hörenden. Doch, taub oder nicht, keiner spielt, jeder redet nur, ob mit Händen oder Stimme, und redet immer noch, bis das ganze Personal redend in die Requiste eingeht. Das angestrengte Dekor, die kalte Geometrie und deren mitinstallierte surreale Irritation mutieren zum Sprechzimmer. Eine Prise Meyerhold ein Schuß Commedia, verrührt und angerichtet vor allem zum Staunen. Und wenn Calaf, der neue Heiratskandidat in der Tür steht, verteilen das Blaubein und Quadrat Fluchtpunkte und Perspektiven auf der Bühne nocheinmal neu. Eine hübsche Idee, gesetzt wie eine Paukenschlag, doch ohne jeden Nachhall. Und meist bleiben alle Bewegungen so exzessiv lahm, daß das ganze allzu rasch zum inszenatorischen Stillstand kommt. Selbst die beiläufigste Aktion, soll einen Anschein von ritueller Feierlichkeit versprühen und pendelt sich doch schnell auf einer Ebene schwerblütiger Monotonie ein. Endzeit-Visionen einer sterbenden Kultur, archetypisches Rätselgewisper und Geschlechterkrieg verkommt zu einem diffus frustrierten Raunen. Soll das Reich doch untergehen mitsamt Herrschertochter, für so eine uninspirierte formalistische Leier lohnt sich weder Todesangst noch Schwertgerassel.

Birgit Glombitza

heute, 20.30 Uhr, k4