: Pille stoppt Tauben-Höhenflug
Weiche Welle gegen Bezirkstauben hat Erfolg. Bestand auf 4.500 reduziert. Zwangsgeld gegen radikale Taubenfans ohne Wirkung ■ Von Matthias Benirschke
Orwell wußte es schon: Einige Tiere sind eben gleicher. Während das Pandapärchen im Zoo alle erdenklichen Hilfen zur Vermehrung erhält, werden den Kreuzberger Taubenschwärmen seit fast einem Jahr Antitaubenpillen verabreicht. Zeit für eine Zwischenbilanz. Der Taubenbestand im Bezirk Kreuzberg sei seit Juli 1996 von geschätzten 6.000 auf jetzt rund 4.500 zurückgegangen, sagte Amtstierarzt Jürgen Bach gestern.
Der ehemalige Kreuzberger Gesundheitsstadtrat Gerhard Engelmann, der das Modellprojekt seit seinem Ausscheiden 1996 ehrenamtlich betreut, zeigte sich von der Erfolgsmeldung begeistert. Entscheidend sei der Maßnahmenmix, verkündete er. Neben den Pillen hätten Taubenhäuser, Falkennester und eine bessere Öffentlichkeitsarbeit ihre Wirkung getan.
Die Columbia livia domestica oder auch Gemeine Stadttaube ist ein ernst zu nehmendes Problem fast aller Großstädte. Jede Taube produziert jährlich bis zu zehn Kilogramm ätzenden Kot. Gleichzeitig vermehren sich die „Ratten der Lüfte“ mit rasender Geschwindigkeit. Radikale Vernichtungsfeldzüge mit Schußwaffen, Giften und untauglichen Versionen von Antitaubenpillen waren fehlgeschlagen. Jetzt gilt die weiche Linie mit der schönen Bezeichnung „integratives Konzept zur Bestandsregulierung“.
Die Hoffnungen ruhen auf einer neuentwickelten Pille. Sie wird in Kreuzberg kontrolliert an Tauben abgegeben, ihre Wirkung hält etwa zwei Monate vor. Die maiskorngroße Pille schade Tauben nicht, andere Tiere seien nicht gefährdet, da die Pillen nur von Körnerfressern verwertet werden können.
Sabotiert wird der Feldversuch allerdings von „professionellen Taubenfütterern“. So werden an den beliebtesten Fütterplätzen Kreuzbergs täglich durchschnittlich 30 Kilo Taubenfutter, vom Körnermüsli bis zur zerbröselten Halsschmerztablette, eingesammelt. „Wenn die Tauben satt und fett sind, pfeifen sie natürlich auf die Antitaubenpille“, klagte Engelmann. Auch Zwangsgelder gegen die renitenten Vogelfreunde haben offenbar noch nicht den gewünschten Erfolg gezeigt.
Wenn die Pille als Herzstück des integrativen Konzepts ein Erfolg und demnächst offiziell zugelassen werden sollte, könnte aus der Sache sogar noch ein Geschäft werden. Rund 100 europäische Städte haben Interesse angemeldet. Schwierig ist aber offenbar gelegentlich die zielgerechte Verabreichung der Pillen, die rund eine Mark pro Stück kosten. Zum Füttern sei qualifiziertes Personal notwendig, sagte Engelmann. „Wenn da nicht immer der gleiche Fütterer kommt, sitzen die Tauben auf dem Dach und lachen sich tot.“ Auch eine Lösung.
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