Im Sommer reich, im Winter arm

In Prenzlauer Berg sprießen die Kneipen wie Pilze aus dem Boden und schnüren sich gegenseitig den Hals zu. Die Eckkneipen haben es noch schwerer  ■ Von Mirko Heinemann

Seit Roman Theilig vor drei Jahren das Café Tantalus in Prenzlauer Berg eröffnete, zeigt es ein seltsames Symptom: Der Laden am Wasserturm, einem der besten Standorte Berlins, läuft zwar blendend, doch seit der Eröffnung geht es mit ihm stetig bergab. Kein Wunder, sprießen hier doch die Kneipen wie die Pilze aus dem Boden. Aber Roman sieht die Sache anders. „Die Leute haben keine Kohle mehr“, sagt er und reibt Daumen und Zeigefinger aneinander.

Der Kneipier hat eine gute Vergleichsmöglichkeit. Neben dem Tantalus gehört ihm noch das Turandot in der Bergmannstraße. Und auch in Kreuzberg sind die Folgen der Rezession spürbar. Die Stammkunden sind weniger geworden, und „früher hatte der Laden die ganze Nacht offen. Jetzt ist um zwei Uhr Totentanz.“

Als Roman und Frauke in den Prenzlauer Berg gingen, gehörten sie mit zu den Pionieren in der Gegend. Damals gab es am Wasserturm nur die Kommandantur, der Platz war so gut wie ausgestorben. Das Tantalus öffnete im Herbst 1993. „Übern Winter hatte sich eine richtige Stammkundschaft etabliert“, erinnert sich Roman. Dann kam der erste Sommer, und ganz Berlin entdeckte den Prenzlauer Berg. Wie alle Kneipen um den Kollwitzplatz florierte das Tantalus, und Goldgräberstimmung breitete sich aus. An jeder Ecke entstand ein neuer Laden. Der Stammkundschaft aber machte der Trubel den Garaus. „Ja, und so ist das bis heute geblieben.“

Roman schenkt das siebte Glas Selters ein, denn heute scheint ausnahmsweise mal die Sonne ins Turandot. „Also, ich bin da völlig mißtrauisch. Da gibt's keine Sicherheit. Im Sommer wirste richtig reich und im Winter richtig arm.“ Dann schon lieber Kreuzberg. Auch hier ist die Konkurrenz groß, auch in der Bergmannstraße öffnen immer mehr Kneipen, Garküchen, Restaurants. Doch im Turandot hat sich eine feste Stammkundschaft etabliert, und auch die Miete liegt mit 40 Mark pro Quadratmeter deutlich unter der des Tantalus. Zumal die vereinbarte jährliche Steigerungsrate am Wasserturm das Dreifache beträgt.

„Hier ist alles natürlich gewachsen, während da oben“, Roman nickt, als wäre der Prenzlauer Berg ein Dreitausender, „das ist doch alles künstlich. Jetzt werden da die Häuser renoviert, und danach wird das alles uninteressant für die Touristen, die immer Sommer die Kohle bringen. Und dann werden wohl einige dran glauben müssen.“

In der Tat scheinen sich in Prenzlauer Berg die Kneipen mittlerweile den Hals selbst zuzuschnüren. Über 50 gastronomische Einrichtungen öffneten seit dem Mauerfall im Kiez um den Kollwitzplatz. Bis aufgebrachte AnwohnerInnen eine Initiative gegen den Kneipenlärm gründeten und der Bezirk sich veranlaßt sah, eine Vermietungssperre für Gastronomie im Kiez zu verhängen.

Neuerdings wird auch darauf bestanden, die Stühle und Tische ab Punkt 22 Uhr vom Gehweg zu räumen. Für viele Kneipen ist gerade dieser Aspekt der Stachel im Fleisch. Den besten Umsatz macht man zwischen halb zehn und halb zwölf Uhr abends, wie auch Roman bestätigt. Er würde das Tantalus denn auch am liebsten verkaufen. Jörg, einer seiner Angestellten, hatte mit dem Laden geliebäugelt und dann doch abgewunken. „Man müßte alles umstylen. Hier müßte etwas hin, was es in der Gegend überhaupt noch nicht gibt, wenn das hier Zukunft haben soll.“ Eine Art Szene-Tanzcafé hatte Jörg im Kopf, doch als er im Geiste die Kosten für den Umbau überschlug, wurde ihm schlecht. „Mit einer Vertragslaufzeit von sieben Jahren. Und danach? Wer weiß schon, wie hoch die Miete dann wird.“ Nein, es sei jetzt nicht die rechte Zeit, eine Kneipe zu eröffnen. Dabei sind Lokale noch die einzigen Einzelhandelsbetriebe, die die in gewissen Gegenden geforderten Mieten überhaupt noch aufbringen können. Die kleinen Schuster und Änderungsschneidereien können nur noch in Nischen überleben, in denen die Gastronomie wiederum keine Chance hat. Auch die durchschnittliche Eckkneipe, in der das Bier noch 1,80 Mark kostet, ist der Mietenexplosion oft nicht gewachsen. Überlebt hat, wer weggekommen ist von der miefigen Bierdunstatmosphäre, wer investiert hat, damit eben nicht nur die Nachbarn, sondern auch Touristen sich wohl fühlen können.