■ Der Einfluß von Alkohol auf die zeitgenössische Literatur
: Betrunkene Dichter im Selbsttest

Was hatten Charles Bukowski und Heinrich Heine gemeinsam? Außer der Tatsache, daß sie regelmäßig zur Feder griffen, einen ausgeprägten Hang zum Alkohol. Ebenso wie Raymond Chandler, Edgar Allen Poe oder Ingeborg Bachmann; die Liste ließe sich beliebig verlängern.

Grund genug für die Hamburger Literatenvereinigung LAOLA, bekannt geworden durch die Ausrichtung von Poetry Slams, die eher einem Weltmeisterschaftsboxkampf als einer Literaturveranstaltung gleichen, den Einfluß alkoholischer Getränke auf die zeitgenössische Literatur im Selbsttest zu erforschen. Denn wird nicht erst unter dem „Einfluß von Hochprozentigem erklärbar, daß nicht enden wollende Romane nur unter dem Einfluß von Hochprozentigem entstanden sein können?“

Also traten am Samstag zehn Autoren an, um zu lesen und, vor allem, zu trinken. Mit viel Gespür für das richtige Ambiente hatten die Veranstalter das Clubheim des FC St. Pauli als Austragungsort gewählt. Zwischen Vereinswimpeln und polierten Pokalen saß ein gespanntes Publikum, das bereits vor Beginn der eigentlichen Lesung den Autoren beim Trinken zusehen durfte. Hinter dem Autorentisch wurden auf einer Tafel der Alkoholkonsum und die aktuellen Promillewerte der Dichter eingetragen. Bereits nach einer halben Stunde klafften die Werte stark auseinander. Zurückzuführen war dies unter anderem auf die unteschiedlichen Mageninhalte der Akteure. „Ich habe eingelegte Oliven mit Weißbrot gegessen“, erklärt Mitveranstalter Michael Weins seinen verdächtig niedrigen Wert von 0,02 Promille beim vierten Bier. Etwas später dann wurde jedoch bereits die erste 1 vor dem Komma gemeldet.

Kein Wunder. Denn aus dem Publikum, das eine Spende in die Getränkekasse der Autoren leisten mußte, waren die ersten Naturalien gereicht worden. „Die trinken ja sonst nur Bier“, so der Spender einer Wodkaflasche. Als es dann endlich losging, purzelten bereits die ersten Plastikbecher von den Tischen. „Ich versuche jetzt diesen Abend zu eröffnen“, begann Gunter Gerlach, der mit Trinksprüchen auf die vielen (im Alkohol) ertrunkenen Literaturschaffenden durch das Programm führte. Die erste Runde überstanden die meisten Dichter mit Bravour. Wenn auch erst im zweiten Anlauf, wurden so schwierige Sätze wie „als würde ranziges Öl an einem hinabrinnen“ gemeistert. Ebenfalls bemerkenswert war der Vortrag einer Seefahrergeschichte in zehn Kapiteln in weniger als zwei Minuten.

Natürlich wurden auch zum Thema Alkohol kräftig die Reime geschüttelt. Beispielsweise über die Begegnung eines Trinkers mit dem Tod: „Ich brach ihm noch mal auf die Schuhe und fand meine letzte Ruhe.“ Das gefiel dem mittlerweile stark angeheiterten Publikum, das zunehmend begann, sich selbst zu feiern. Etwa mit einem Mitklatschversuch zu einem Stück gesungener Literatur. „Ich schätze, es ist völlig egal, was wir jetzt vorlesen“, stellte einer der Dichter treffend fest. Denn auch am Autorentisch wurde das Gebrabbel immer lauter.

Zum Schluß dann wie erwartet das Chaos: Zwei Autoren sind spurlos verschwunden, unter den verbleibenden Dichtern kreist eine Flasche Metaxa, und die aktuellen Promillewerte werden nicht mehr eingetragen. Trotzdem gibt es immer wieder Leseversuche. Daß dabei die einleitenden Worte häufig länger ausfielen als der gelesene Text, störte niemanden mehr. Mit halbgeschlossenen Augen wurden Gedanken über Fußball oder Filmsequenzen aus Vorabendserien vorgetragen. Ein gelungener Abend also. Klaus Sieg