Geheimnisse, Lügen etc.: Schatten auf der Schattenarmee
■ Historiker und Filmemacher korrigieren das Bild der französischen Résistance
„Harte Zeiten für Helden“, schrieb der französische Historiker Olivier Wieviorka vergangene Woche anläßlich einer Publikation seines Kollegen Gérard Chauvy über das Résistance- Ehepaar Aubrac. An allen Ecken platzt Lack von lange gepflegten Ikonen. Was früher in Filmen wie René Cléments „La Bataille du rail“ oder Jean-Pierre Melvilles „Armee im Schatten“ als eine apolitische, überparteiliche Bewegung im Dienst einer Idee vom Menschen und von Frankreich erschienen war, zerfällt nun in zerstrittene Parteien. Wieder war es das Kino, das die neue Version der Geschichte voranschob: Beim Filmfestival in Cannes 1996 kam es zu hitzigen Brüllereien vor dem Palais, als Jacques Audiard seinen Film „Un héros très discret“ vorstellte, dem Porträt eines ursprünglich Vichy zuneigenden Bürgersöhnchens, der sich in der Nachkriegszeit eine formidable Résistancebiographie zurechtzimmert – mit „schmerzlichen Erinnerungsattacken“, klandestinen Londoner Stadtplänen etc.
Chauvys Enthüllungsgeschichte über das Ehepaar Aubrac traf einige Wochen nach dem Film „Lucie Aubrac“ von Claude Berri ein, der im Stil von „La Bataille du rail“ als reine Homage an eine couragierte Frau und einen mutigen Mann gehalten ist. Im Zentrum beider Darstellungen steht der 15. März 1943, an dem ein hochkarätig besetztes Treffen der Résistance im Hotel de Ville von Lyon aufflog, bei dem nicht nur Raymond Aubrac, sondern auch Jean Moulin, der Kopf der gesamten Organisation, von der Gestapo verhaftet wurden. Chauvy, der Zugang zu bislang verschlossenen Archiven hatte, zeigt zunächst, daß die Widerstandsbewegung von internen Konflikten zerrissen wurde, in erster Linie dem zwischen Anhängern des Generals Charles de Gaulle und den Kommunisten. Klaus Barbie, Gestapo-Chef von Lyon, der Moulin zu Tode und Aubrac zumindest bis zu seiner Befreiung durch ein Parteikommando gefoltert hatte, behauptete gegenüber seinem Anwalt, es sei Aubrac gewesen, der das Treffen verraten habe. Als Motiv gibt Gérard Chauvy die politischen Zerwürfnisse an: Die Kommunisten, zu denen Aubrac gehörte, sahen sich zu jener Zeit mit dem Hitler-Stalin-Pakt und der aus Moskau angeordneten Unterstützung für den General Giraud konfrontiert, deren Ziel unter anderem eben die Schwächung von de Gaulle war.
Die Aubracs wehren sich mit dürren Worten gegen die Anschuldigungen. Gegenüber Le Monde erklärte Lucie Aubrac, nachdem sie von einer Tour mit Carole Bouquet, der Schauspielerin ihrer Rolle in Berris Film, zurückgekehrt war: „Ich möchte mich nicht in eine Verteidigungsposition drängen lassen.“ Daniel Cordier, ein Freund der Aubracs, glaubt zwar an ihre Unschuld, findet diese Reaktion aber ein bißchen kurz. „Ich glaube nicht, daß sie die ganze Wahrheit über das Jahr 1943 gesagt haben“, erklärte er gegenüber der Libération. „Ich würde mir wünschen, daß sie sich erklären. Nicht vor einem Tribunal selbstverständlich, sondern vor einem Gremium von Historikern. Ich glaube nicht, daß die Demontage der Résistance an der Zeit ist, aber auch diese Sicht hat ein Recht auf Öffentlichkeit.“ mn
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