„Es hätte auch Stalin sein können“

■ „L'Espresso“-Verkaufsdirektor G. Ferrantelli will gewinnbringend provozieren

taz: Wie ist die Idee entstanden, „L'Espresso“ mit den Filmen von Leni Riefenstahl und Sergej Eisenstein zu verkaufen?

Guido Ferrantelli: Der Verkauf des Magazins mit Videokassetten hat sich in den vergangenen Jahren entwickelt. Und natürlich ist das Interesse der Leser für die in Italien noch unveröffentlichten Filme von Leni Riefenstahl ziemlich groß.

Uns geht es vor allem darum, die Leserschaft auszuweiten und mit dieser Aktion Gewinne zu machen. Je nach Film verkaufen wir von einer Videokassette rund 100.000 Exemplare, vom ersten Film der Riefenstahl-Reihe „Triumph des Willens“ sind sogar zwischen 130.000 und 150.000 Stück verkauft worden (die Gesamtauflage von L'Espresso beläuft sich auf 460.000 Exemplare. Anm. d. Red.), vom Eisenstein-Film „Alexander Nevskij“ dagegen nur 60.000, weil dieser Film in den Videotheken zu haben ist.

Warum lassen Sie dem Käufer die Wahl zwischen Adolf Hitlers Lieblingsregisseurin und ihrem ideologischen Gegner Sergej Eisenstein?

Das sind Entscheidungen des Verlags, aber es handelt sich sicher nicht um einen Zufall. An dieser Stelle will ich unterstreichen, daß L'Espresso ohne Zweifel ein links orientiertes und progressives Magazin und weit davon entfernt ist, Propaganda zu machen. Wenn man aber solche historischen Dokumente veröffentlicht, muß man sie so verbreiten, wie sie real vorliegen. Daß es sich bei den Filmen von Leni Riefenstahl aus historischer Sicht um Propaganda handelt, ist offensichtlich. Im vergangenen Jahr haben wir sogar die Reden von Benito Mussolini auf Videokassetten veröffentlicht. Ich kann mir vorstellen, daß das einige in Verlegenheit bringt, aber gerade die distanzierte Betrachtung der unglaublichen Massenunterstützung dieses Regimes ist wichtig, um sich heute gegen neue Formen von Autoritarismus zu wappnen. Wir als Wochenmagazin haben uns der Aufgabe angenommen, dem Publikum diese Dokumente von großem historischen Interesse und außergewöhnlicher Qualität anzubieten.

Wenn man den Werbeslogan zu „Triumph des Willens“ liest („Echte Nazis. So einen Hitler hat man noch nicht gesehen“), hat man den Eindruck, „L'Espresso“ verkauft die deutsche Nazivergangenheit wie ein Waschmittel oder den neuesten Streifen von Arnold Schwarzenegger.

Wissen Sie, wenn Sie in Italien, wo die Information extrem spektakulären Charakter besitzt, ein Produkt verkaufen wollen, müssen Sie provozieren. Andernfalls hätten wir einen Spruch wie „Ein einmaliges historisches Dokument“ nehmen müssen. Das wäre zu platt gewesen. Und ich betone, daß es statt Hitler auch Stalin oder Lenin hätte sein können. An der Wurzel des Verkaufs von Zeitungen und Zeitschriften mit Videokassetten liegt die Tatsache, daß in Italien das Fernsehen den Großteil des Werbeaufkommens absorbiert. Die Presse spürt somit die Notwendigkeit, ihre Verbreitung mit Hilfe verschiedenster Promotion-Formen auszuweiten, indem beispielsweise Multimedia-Produkte beigelegt werden. Das wird im Ausland oft übersehen. Anders ließe sich diese Flut von Gadgets, die den Zeitschriften beigelegt werden, auch nicht erklären. Interview: Cyrus Salimi-Asl