„Die Opfer müssen entschädigt werden“

■ Cécile Bühlmann, Abgeordnete im Schweizer Nationalrat und Fraktionsvorsitzende der Grünen, über den Holocaust-Fonds und die geplante „Stiftung für Solidarität“

Die Schweiz will ihre wenig ehrenvolle Rolle im Zweiten Weltkrieg aufarbeiten und Wiedergutmachung leisten. Zum einen mit einem Holocaust-Fonds, der vom Bund und der Wirtschaft mit bisher 260 Millionen Franken ausgestattet wurde. Zum anderen kündigte am 5. März Bundespräsident Arnold Koller überraschend die Gründung einer „Stiftung für Solidarität“ an. Die politische Rechte hat bereits ihren Widerstand gegen die Entschädigungssysteme angekündigt, während die Linke dem Projekt kritisch-positiv gegenübersteht.

taz: Frau Bühlmann, 350 Millionen Franken sollen aus der „Stiftung für Solidarität“ fließen. Woher kommt das ganze Geld?

Cécile Bühlmann: Der Schweizer Bundesrat wertet einen Teil des Goldbestands auf und bewirtschaftet ihn. Wenn der Buchwert unseres Goldes von 12 auf 26 Milliarden Franken erhöht und mit der Hälfte des Aufwertungsgewinns „gearbeitet“ wird, sind jährliche Einnahmen von rund 350 Millionen Franken zu erwarten, ohne daß die Goldreserven schwinden.

350 Millionen Franken jährlich wecken Begehrlichkeiten. Wo soll das Geld eingesetzt werden?

Geplant ist, die Summe je zur Hälfte im In- und Ausland zu verwenden. Auch hier kann es aber nicht darum gehen, die bisherige Entwicklungszusammenarbeit zu ersetzen. Vielmehr müssen die Opfer von Menschenrechtsverletzungen, nicht nur des Holocaust, entschädigt werden. In der Schweiz sehen die Grünen ein Schwergewicht in der Prävention: Wenn vermehrt über antisemitische und rassistische Strömungen aufgeklärt würde, wäre dies gut angelegtes Geld.

Sowohl die Stiftung für Solidarität als auch der Holocaust- Fonds werden in eine Volksabstimmung müssen. Besteht nicht die Gefahr, daß beide Projekte von rechts außen abgeschmettert werden? Daß die geplante Aufarbeitung der Rolle der Schweiz im Weltkrieg zum Desaster gerät?

Linke, Grüne und aufgeklärtes Bürgertum haben in der Vergangenheit gezeigt, daß sie gemeinsam Mehrheiten erringen können. Die Volksabstimmungen werden aber in jedem Fall zu einer harten Auseinandersetzung führen.

Die Ankündigung der Stiftungsgründung hat fast alle überrascht, auch die Linke war zunächst sprachlos.

Tatsächlich kam die Idee völlig unerwartet. Der Bundesrat hat es zudem geschafft, breite Kreise für seine Idee einzunehmen oder vielleicht auch zu vereinnahmen. Schon der Titel war ein cleverer Schachzug. Als Linke und Grüne, die mehr Solidarität fordern, können wir eine gleichnamige Stiftung nur schwer pauschal ablehnen.

Trotzdem haben Sie Vorbehalte?

Unser Widerstand wird dann beginnen, wenn sich die Stiftung als Ersatz für bisherige Leistungen entpuppen sollte. Eine Demokratie und ihr soziales Netz muß per se solidarisch sein und darf nicht auf Stiftungen angewiesen sein. Auch ihr Umgang mit Minderheiten darf nicht davon abhängen, ob Geld vorhanden ist oder nicht. Schon seit Jahrzehnten etwa warten wir auf die Realisierung der Mutterschaftsversicherung. Wenn der Bundesrat diese elementare Einrichtung der Solidarität nicht bald einführt, braucht er sich nicht zu wundern, wenn wir Frauen nicht für die neue Stiftung eintreten. Interview: Pieter Poldervaart