Goldwaschmaschine

■ Spanien und Portugal lieferten dem Reich Lebensmittel und Rohstoffe. Dafür gab's Franken, die die Schweiz dann vergoldete

Die sieben Mann warten neben ihrem LKW: sechs uniformierte Polizisten der spanischen Guardia civil und ein Zivilist, der Fahrer. Zigaretten, belanglose Gespräche. Es ist wenig los hier oben im Pyrenäendörfchen Canfranc, dem Grenzposten auf der Landstraße zwischen der französischen Stadt Pau und dem spanischen Zaragoza. Ungeduldige Blicke auf die Uhr. Noch eine Kippe. Dann dringt ein Brummen durch die Stille. Das Warten hat ein Ende. Von der französischen Seite her nähert sich ein LKW mit Schweizer Kennzeichen. Er hält genau neben den Spaniern.

Ein kurzer Gruß. Fahrer und Beifahrer steigen aus, schlagen die Plane hoch, alle zusammen laden die schweren Holzkisten von einem Fahrzeug auf das andere. Während fünf Guardia-civil-Angehörige auf die Ladefläche klettern und dort, Karabiner in der Hand, Platz nehmen, unterzeichnet ihr Vorgesetzter zusammen mit dem Fahrer den beiden Schweizern eine Empfangsbestätigung. Ein kurzes Nicken. Aufsitzen. Beide Fahrzeuge verschwinden hinter der nächsten Kurve, jeder auf seiner Seite der Grenze.

280mal spielte sich diese Szene so oder so ähnlich zwischen Mai 1943 und Februar 1944 in Canfranc ab. Trotz größter Geheimhaltung fand ein US-Agent heraus, was die Kisten enthielten: Gold. „Ich habe Barren mit dem Stempel der Reichsbank in Berlin und der Jahreszahl 1941/42 oder 1943 gesehen, andere mit Hakenkreuz und Reichsadler. Wieder andere trugen einen Stempel des Landes Preußen aus dem Jahr 1941 und 1942“, zitiert der Spion einen seiner Informanten, vermutlich einen Fahrer.

Die Kisten kamen aus der Schweizer Nationalbank in Bern. Ihr Ziel: die Staatsreserven der beiden Diktatoren Francisco Franco in Spanien und Oliviera Salazar in Portugal. „In Madrid wurde das Gold an die Hauptstelle der Banco de España geliefert.“ Für die an Lissabon adressierten Kisten ging die Reise weiter an die portugiesische Grenze im südspanischen Badajoz. „Dort wurde das Gold dann auf einen portugiesischen LKW verladen“, endet der am 22. April 1946 an das US-Verteidigungsministerium adressierte Anschlußbericht des Spions.

Der Zweite Weltkrieg war vorbei, das Dokument verschwand im Nationalarchiv in Washington. Was sein Autor nicht mehr erlebte: 50 Jahre später, nach Ablauf der Sperrfrist, war es genau seine Arbeit, die US-Senator Alfonse D'Amato bei den Nachforschungen über die Rolle der Schweizer Nationalbank im Zweiten Weltkrieg auf die entscheidende Spur bringen sollte: wie die Nazis das Gold aus ihren Beutezügen quer durch Europa und aus der Judenverfolgung vom Blut, das an ihm klebte, reinwuschen.

Das Geschäft war denkbar einfach. Spanien und Portugal unterhielten mit Hitler-Deutschland rege Handelsbeziehungen. Die beiden Länder lieferten Lebensmittel, Textilien und vor allem das für die Stahlveredelung wichtige Wolfram. Drei Viertel der deutschen Importe dieses Metalls, das dem Stahl die nötige Härte verleiht, um Panzerplatten zu produzieren, kamen aus Portugal und dessen Kolonie Angola, der Rest fast ausschließlich aus Spanien.

Deutschland bezahlte in Schweizer Franken, die die Banco de España und die Banco de Portugal später bei der Schweizer Nationalbank in Gold umtauschten. Spanien erstand auf diese Art Edelmetall für mindestens 42,6 Millionen Dollar, Portugal gar für 116,6 Millionen (nach heutigem Kurs zehnmal soviel). Einziger Haken bei dem lukrativen Dreiecksgeschäft: Die eidgenössische Zentralbank hatte das Gold zuvor in Deutschland aufgekauft. Es stammte aus den Zentralbanken der besetzten Länder und aus beschlagnahmtem Privatbesitz der Holocaust-Opfer. Selbst Goldzähne der in den KZs ermordeten Menschen wurden eingeschmolzen und zu Goldbarren umgearbeitet.

Spaniens Diktator Franco war das egal, bot ihm das Geschäft doch die einzigartige Möglichkeit, die am Ende des Bürgerkrieges leer vorgefundenen Tresorräume der Banco de España wieder aufzufüllen. Die legitime Regierung der Republik hatte den spanischen Staatsschatz 1936, wenige Monate nach Ausbruch des Krieges, nach Moskau schaffen und es in der dortigen Staatsbank einlagern lassen; es sollte verhindert werden, daß die Finanzreserven in die Hände der Rebelleneinheiten General Francos fielen. Der spanische Staatsschatz, nach dem der USA, Frankreich und England der viertgrößte seiner Zeit, überlebte auch so den Bürgerkrieg nicht. Als Francos Truppen 1939 siegreich in Madrid einzogen, hatten die Waffenkäufe der bedrängten Republik das Konto in Moskau völlig aufgezehrt.

Nach nur mäßig erfolgreichen Aufrufen an die Bevölkerung, Gold für die Kassen seiner Gegenregierung zu spenden, ließ Franco ab 1937, noch im Bürgerkrieg, im Ausland Gold ankaufen, um einen neuen Staatsschatz anzulegen. Die Bücher der Banco de España listen bis Ende 1944 Neuzugänge von insgesamt 4.379 Barren – 65.503 Kilogramm – auf. Über die Hälfte, 2.738 Barren, stammten aus der Schweizer Nationalbank. Der Rest kam aus Käufen in anderen europäischen Ländern, darunter Deutschland, allerdings noch vor dem Krieg.

Portugals Diktator Salazar ging bei seiner Gier nach dem Edelmetall noch einen Schritt weiter und nahm selbst dann noch direkt aus Deutschland Goldbarren entgegen, als die Alliierten bereits mehrmals in diplomatischen Noten auf die Herkunft der Nazischätze aufmerksam gemacht hatten. „Portugal akzeptierte sogar gestohlenes Gold mit der holländischen Originalkennzeichnung“, schreibt der portugiesische Geschichtswissenschaftler Antonio Louca in der Fachzeitschrift Historia. Für ihn steht außer Zweifel: „Die portugiesische Zentralbank (war) nach der Schweiz der zweitgrößte Direktkunde für geraubtes Gold der Nazis und größter Kunde für in der Schweiz gewaschenes Metall.“

Die westlichen Siegermächte forderten ab 1946 von Salazar 44 Tonnen Gold zurück, um es, wie zwei Jahre zuvor in Bretton Woods vereinbart, seinen rechtmäßigen Besitzern zukommen zu lassen. Sieben Jahre zogen sich die Verhandlungen hin. Portugal erklärte sich lediglich zur Herausgabe von drei Tonnen Gold bereit. Die Alliierten lenkten schließlich ein, war das Land doch mittlerweile ein wichtiger Partner im aufkommenden Ost-West-Konflikt. Allein der US-Luftwaffenstützpunkt auf den Azoren war für die USA im Kalten Krieg mehr wert als alles Gold in den Stahlkammern der Banco de Portugal zusammen.

Der heutige Zentralbanksprecher Nuno Jonet gibt freimütig zu, noch immer im Besitz von Goldbarren mit eingeprägtem Hakenkreuz zu sein – „Museumsstücke“, fügt er hinzu, als wäre es die normalste Sache der Welt. Wieviel die Spanier von ihrem Gold an die Alliierten abliefern mußten, ist nicht genau bekannt. Viel kann es jedoch nicht gewesen sein. Die einzigen bisher aufgetauchten Dokumente sprechen von 154 Kilogramm.

Schon bald könnte mehr Licht in die dunklen Bankgeschäfte kommen. Der Direktor des Wiesenthal-Zentrums in Europa, Simone Samuels, stattete den Archiven der Banco de España und der Banco de Portugal erste Besuche ab. Es vergeht kaum eine Woche, an dem Spaniens größte Tageszeitung El Pais nicht neue Dokumente ans Tageslicht zerrt. Portugals Ministerpräsident Antonio Guterres hat gar eine Öffnung der Archive „ohne jegliche Vorbehalte“ angekündigt, und die Banco de Portugal beauftragte einen Wirtschaftshistoriker, mit der Auswertung der Unterlagen zu beginnen. Ihm soll eine Kommission zur Seite gestellt werden, in der auch der Jüdische Weltkongreß vertreten sein wird.

Zu erforschen gibt es mehr als genug, denn die Geschichte des Nazigoldes ist voller Ungereimtheiten. Wieso bezahlte Deutschland für die spanischen Warenlieferungen, obwohl Madrid seit dem Bürgerkrieg mit vier Milliarden Peseten in Berlin in der Kreide stand? Anstatt die Schulden aufzurechnen, trieb Deutschland das Geld auf eine recht unorthodoxe Weise ein. Nach Erkenntnissen US-amerikanischer Geheimdienste druckte die Reichsbank 1940 kurzerhand für die ausstehende Summe 1.000-Peseten-Scheine und brachte sie in Umlauf.

Und wieviel Nazigold gelangte tatsächlich auf die iberische Halbinsel? Daß es mehr war, als in den Büchern der beteiligten Banken verbucht, zeigt der Fall von zwei Tonnen Gold aus der deutschen Botschaft in Madrid. Niemand weiß, wie sie dort hinkamen, niemand auch, wofür sie bestimmt waren oder wo sie verblieben sind. Letzte bekannte Lagerstelle: das Büro von Emilio de Navasgüés, einem hohen Beamten des Madrider Industrie- und Handelsministeriums im Herbst 1945. Bis zu seinem Tod hielt Navasgüés an der Version fest, er habe das Gold von einem Deutschen erhalten und es auf direkte Anweisung Francos den Briten übergeben.

Die Alliierten haben den Empfang allerdings nie offiziell bestätigt. Das Wiesenthal-Zentrum fordert deshalb Zugang zum Archiv des britischen Außenministeriums, um die Aussage des Spaniers zu überprüfen. Unmöglich, die Sperrfrist läuft erst im Jahre 2031 ab, lautet die negative Antwort der Regierung in London.

Die zwei Tonnen aus der Botschaft und mögliche andere bisher unbekannte Lieferungen können viele Wege genommen haben. Was, wenn das Gold zur Finanzierung der verschiedenen Reorganisationsversuche der Nazis auf spanischem Boden diente? Was, wenn ein Teil der Nazibeute gar nach Lateinamerika gelangte? Dienten doch sowohl Spanien als auch Portugal vielen Nationalsozialisten nach Kriegsende als sicherer Unterschlupf, da sich die beiden Diktatoren immer wieder schützend vor sie stellten und sie vor der Rückführung durch die Alliierten ins besetzte Deutschland retteten.

Andere nutzten die iberische Halbinsel als Sprungbrett nach Lateinamerika, wo sich nach Kriegsende über 80.000 Deutsche und Österreicher niederließen. Unter ihnen mindestens 800 hochrangige Nazis und 200 gesuchte Kriegsverbrecher. Für Simone Samuels ist nur schwer vorstellbar, daß sie alle mittellos ausgewandert sein sollen. Jetzt hat er vom argentinischen Präsidenten Carlos Menem die Zusage erhalten, erstmals 334 verdächtige Bankkonten aus jener Zeit überprüfen zu dürfen. Reiner Wandler, Madrid

Theo Pischke, Lissabon