Die Mär vom Jobwunder bei den Nachbarn

■ Großbritannien und Holland haben bei niedriger Arbeitslosenquote getrickst

Köln (taz) – Nach der offiziellen britischen Statistik hat die Wirtschaftspolitik von Premierminister John Major Wunder bewirkt. Im Laufe der vergangenen fünf Jahre sind danach 900.000 neue Arbeitsplätze entstanden. Es gibt 1,7 Millionen Arbeitslose, also 6,2 Prozent. Dies stellen deutsche Politiker als Vorbild hin.

Die größte Bank in Großbritannien, die Hongkong and Shanghai Bank Corporation (HSBC), wollte es genauer wissen. Sie erkundete, wie viele Arbeitslose es wirklich gibt und wieviel Geld die Leute in der Tasche haben. Darshini David von der volkswirtschaftlichen Abteilung der HSBC ging der Frage nach, wie viele der 900.000 Briten auf den neuen Arbeitsplätzen einer Teilzeitarbeit nachgehen: Es sind überraschend viele, nämlich 600.000. Von den 22 Millionen Arbeitsplätzen in Großbritannien sind 5,5 Millionen – also ein Viertel – Teilzeitjobs.

Die konservativen Regierungen haben das britische Statistik-Gesetz 32mal geändert. Nach dem alten Gesetz gäbe es heute drei Millionen Arbeitslose. Mit der neuen Berechnungsmethode jedoch zählt schon eine Stunde Arbeit pro Woche als Teilzeitjob. Viele Briten werden nicht als arbeitslos erfaßt, obwohl sie arbeitslos sind, zum Beispiel diejenigen, die kein Arbeitslosengeld mehr bekommen. Der Zugang zum Arbeitslosengeld wurde schrittweise verschärft und der Bezug auf sechs Monate begrenzt. Auch die knapp zwei Millionen Briten ohne Arbeit werden nicht als arbeitslos gezählt, die von der Krankenkasse leben. Wer in Deutschland Sozialhilfe bezieht, sich aber um eine Arbeit bemüht, wird als arbeitslos gezählt.

Ungefähr eine halbe Million Arbeitsplätze in der britischen Regierungsstatistik erwiesen sich als Fälschung. Die Regierung übt auf die Arbeitsämter Druck aus, um die Statistik zu schönen. Der Angestellte eines Arbeitsamtes von West Midland gab jeden Auftritt seiner Freizeit-Rockband als Arbeitsplatz an. Aus den Stundenjobs eines jungen Mannes bei mehreren McDonald's-Filialen wurden mehrere Arbeitsplätze. Die offizielle Angabe mit 1,7 Millionen Arbeitslosen ist also falsch. Gut doppelt so viele Briten sind arbeitslos – nämlich vier Millionen. Damit ergebe sich eine Quote von 14 Prozent – höher als in Deutschland.

Im zweiten Vorzeigeland, Holland, sieht es nicht besser aus. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) stellt fest, daß „die arbeitsmarktpolitischen Erfolge der Niederlande überschätzt“ werden. Das Niveau der Arbeitslosigkeit dürfte im internationalen Vergleich sogar als hoch bewertet werden. So habe die Arbeitslosenquote nach den Standards des Industrieländer-Klubs OECD 1994 bei 27,1 Prozent gelegen. Nach holländischer Statistik lag die Quote nur bei 6,8 Prozent. Die Regierung hat die Empfänger von Leistungen der Berufsunfähigkeit, Vorruhestand und kleinere Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen nicht miteingerechnet. Umgerechnet auf Vollzeitarbeitsplätze dürfte allein die Zahl der Berufsunfähigen 1996 bei mehr als zehn Prozent gelegen haben. Werner Rügemer