Rebellen rebellieren gegen die UNO

■ Das Schicksal Zehntausender ruandischer Flüchtlinge belastet die Beziehungen zwischen der zairischen Rebellenbewegung AFDL und der UNO. Aus zairischer Sicht werden die Flüchtlinge von den Hilfswerken bev

Rebellen rebellieren gegen die UNO

Sie leben verstreut im Wald an einem der unzugänglichsten Orte der Erde. Auf beiden Seiten des reißenden Kongo-Stroms, südlich von Kisangani für größere Schiffe unpassierbar, haben sich Zehntausende von Ruandern versammelt, deren Schicksal eine Krise zwischen der UNO und der zairischen Rebellenbewegung „Allianz demokratischer Kräfte für die Befreiung von Kongo/Ex-Zaire“ (AFDL) herbeiführt – noch bevor die AFDL, die zwei Drittel Zaires beherrscht, das Mobutu-Regime endgültig stürzt und den zairischen Staat übernimmt.

Die UNO ist verärgert, denn unter der AFDL-Herrschaft kann sie nicht schalten und walten, wie sie will. Sie wollte eigentlich am vergangenen Wochenende damit beginnen, die nach UN-Schätzung zwischen 80.000 und 100.000 ruandischen Flüchtlinge südlich von Kisangani per Luftbrücke nach Ruanda zurückzubringen. Am Sonntag abend wurde das aufgrund des Widerstands der AFDL und der ruandischen Regierung auf unbestimmte Zeit verschoben. Und gestern mußte die Versorgung der ruandischen Lager durch internationale Hilfsorganisationen, allen voran das UN-Welternährungsprogramm WFP, nach neuen Angriffen unbekannter Täter auf Lager und Transporte suspendiert werden (siehe Interview).

Streitpunkte gibt es viele. Das fängt an mit der Zahl der zu repatriierenden Flüchtlinge: Spricht die UNO von 80.000 bis 100.000, zählt die ruandische Regierung – die selber schon ihre zuständigen Koordinatoren in die Region entsandt hat – gerade 30.000 bis 40.000. Ruandas Repatriierungsbeauftragter Ephraim Kabaija sagte nach seinem Besuch in Kisangani, man könnte sie eigentlich innerhalb eines Monats mit 200 Lastwagen nach Hause fahren. Eine Luftbrücke würde dagegen drei Monate dauern und wäre viel teurer. Ruanda hat die UNO schon erfolgreich von dem Plan abgebracht, die Heimkehrer direkt von Kisangani in die ruandische Hauptstadt Kigali zu fliegen, was den Flughafen von Kigali lahmlegen würde. Sie sollten statt dessen in die AFDL- Hauptstadt Goma kommen, um über die nahe Grenze in die UN- Auffanglager in Nordwestruanda gebracht und dann auf ihre Dörfer verteilt zu werden.

Doch nun findet die Repatriierung möglicherweise gar nicht statt. Der von den Rebellen vorgebrachte Grund, von Cholerakranken gehe in Kisangani Ansteckungsgefahr aus, taugt wenig, weil sowieso nur Gesunde ausgeflogen werden sollten. Vielmehr stört die AFDL, daß die UNO über den Stadtflughafen von Kisangani verfügen will, als gehöre er ihr.

Die Flüchtlinge sind der Rest einer Kriegspartei

Die AFDL benutzt keineswegs den Flughafen für militärischen Nachschub, wie es hier und da berichtet wurde – selbst die UNO bestätigt das nicht –, sondern das UN- Welternährungsprogramm WFP koordiniert den Flugplan von Kisangani weitgehend selbständig. Da auf dem kleinen Stadtflughafen nur ein Flugzeug auf einmal landen kann und nur zwei größere Maschinen gleichzeitig überhaupt Platz haben, ist das Gedrängel groß. Wenn die deutsche „Caritas“ heute ihren ersten Hilfsflug von Uganda nach Kisangani startet, wird sie allein mit einer vom WFP organisierten Erlaubnis in der zairischen Stadt landen, ohne vorherigen Direktkontakt mit der AFDL. Die erfährt das von der UNO und hat auf dem Flughafen einen Beauftragten zur Kontrolle. „Natürlich informieren wir die Allianz, welche Flugzeuge an welchem Tag kommen“, sagt WFP- Sprecherin Michèle Quintaglie. Der richtige „internationale Flughafen“, den Kisangani einmal hatte, steht derweil leer, weil die serbischen Söldner in Mobutus Armee ihn verminten, bevor sie im März aus Kisangani abzogen. An eine Minenräumung denkt offenbar niemand.

Aber das Grundproblem ist noch ein ganz anderes. Die ruandischen Flüchtlinge sind ja nicht einfach Flüchtlinge, sondern der Rest einer Kriegspartei. Sie sind das letzte Überbleibsel der 1,1 Million ruandischen Hutu, die unter Führung der für den ruandischen Völkermord verantwortlichen Milizen im Sommer 1994 nach Zaire flüchteten. In Ostzaire lebten sie in riesigen Lagern von üppiger humanitärer Hilfe und vertrieben zuweilen auch die ortsansässige Bevölkerung, der niemand half. Im Herbst 1996, als die von zairischen Tutsi geführte AFDL Ostzaire eroberte, räumten die Hutu-Milizen die Lager. Über die Hälfte der Insassen machte sich spontan auf den Rückweg nach Ruanda, die anderen zogen im Schlepptau der Milizen Richtung Kisangani. Während die Milizionäre mit Mobutus Armee kämpften und sich mit ihr nach Kinshasa zurückzogen, blieben ihre Familien oft völlig mittellos im Busch zurück. Von den 1,1 Millionen Flüchtlingen sind über 800.000 inzwischen wieder in Ruanda, während sich im Umkreis von Kisangani etwa 130.000 aufhalten; 30.000 sind Richtung Angola unterwegs. Der Rest ist noch in Ostzaire verstreut und wird derzeit vom UNHCR an Sammelpunkten aufgelesen und nach Ruanda gebracht. 2.000 bis 3.000 Rückkehrer überqueren zur Zeit täglich die ruandische Grenze. Die UN-Luftbrücke sollte der krönende Abschluß dieser verschiedenen Heimkehraktionen werden.

Die lokale Wirtschaft ist zusammengebrochen

Doch in den Augen der Bevölkerung von Kisangani sind die Flüchtlinge eine privilegierte Gruppe, die ausländische Sympathie genießt und jetzt sogar in Flugzeugen heimfliegen darf, während innerzairische Flüchtlinge auf die Solidarität der Einheimischen angewiesen bleiben. Zudem waren die Flüchtlingslager nahe Kisangani lange Zeit waffenstarrende Militärbasen der Hutu-Milizen – und auch wenn diese Milizen inzwischen größtenteils abgezogen sind, bleiben beträchtliche Spannungen. „Seit Monaten ist der Nachschub von Versorgungsgütern auf dem Fluß von Kinshasa nach Kisangani zusammengebrochen“, erklärt die katholische „Caritas“, die mit der einheimischen Kirche in Kisangani zusammenarbeitet. „Nahrungsmittel sind knapp. Die lokale Wirtschaft ist völlig zusammengebrochen. Die staatlichen Gesundheitsstellen haben keine Medikamente mehr. Die 30.000 Inlandsvertriebenen in Kisangani sind größtenteils bei einheimischen Familien untergekommen, die selbst Hunger leiden.“

Daß dann der Stadtflughafen, die einzige verbleibende Verbindung zur Außenwelt, auch noch praktisch von der UNO requiriert worden ist, schafft böses Blut. Gerade die Absage der geplanten Repatriierungsaktion könnte nun paradoxerweise Abhilfe schaffen. Mit den drei Großflugzeugen, die das WFP der Luftbrücke zur Verfügung stellen wollte, werden nun täglich 150 Tonnen Lebensmittel nach Kisangani eingeflogen – genug für 300.000 Menschen, also viel mehr als es an ruandischen Flüchtlingen gibt. „Wir bringen viel mehr Lebensmittel, als gebraucht werden“, sagt WFP-Sprecherin Quintaglie. Da könnte sogar für die Zairer etwas übrigbleiben.