■ Schlagloch
: Demokratische Blütezeit in CSU-Country Von Christiane Grefe

„Blamage für Bayern“

Schlagzeile der Münchner „Abendzeitung“ nach dem Bürgerentscheid gegen Lothar-Günther Buchheims „Museum der Phantasie“

Nächsten Sonntag muß ich schon wieder in die Salvator-Realschule. Dort, wo es so düster nach Kindheit riecht, ist mein Wahllokal. Abstimmen soll ich über irgendeine Bauplanung für zwei Siedlungen, die verdammt weit von meinem Stadtteil entfernt liegen: „Rätsel Trudering, Mirakel Aubing“, schrieb die Süddeutsche Zeitung – da fremdelt wohl einer so ähnlich wie ich. Doch auch ich mache jetzt Münchner Wohnungspolitik, es ist Bürgerentscheid, mal wieder; in Bayern, seit vor eineinhalb Jahren ein eingetragener Verein die Einführung dieser Form kommunaler Mitbestimmung erkämpfte, schon zum 124sten Mal.

CSU-Country macht eine direkt-demokratische Blütezeit durch: Die Gemeinde Schonungen hat eine beschränkte Verlängerung des Schotterabbaus durchgesetzt; Nürnberg-Land behält seine dezentralen Geburtenstationen. Und allein am letzten Wochenende haben gleichzeitig die Gautinger eine Würm-Brücke vom Tisch gewählt und die Feldafinger ihrem Mitbürger Lothar-Günther Buchheim sein „Museum der Phantasie“ ausgebremst, ein Gesamtkunstwerk aus Architektur und seiner wertvollen Expressionistensammlung. Doch wie demokratisch oder wie unglaublich engstirnig es tatsächlich zugeht, wenn die Macht direkt vom Volk ausgeht, bleibt die Frage.

Gewiß: Dumpfe Ressentiments, wie sie sich etwa in Feldafing an der eitlen und – sagen wir: exzessiven – Persönlichkeit Lothar-Günther Buchheim, leider auch an seiner modernen Kunst austobten, sind kein Privileg der entfesselten Kleinbürger; auch manch ein gewählter Politiker ist davor nicht gefeit. Wer aber die hysterische Hitzigkeit des Museumsstreits an diesem schmucken, villenbestandenen Ort mitbekommen hat, der weiß das differenzierende Pufferprinzip der Volks-Vertretung wieder richtig zu schätzen: „Nicht die einzelnen, sondern ihre politischen und kulturellen Institutionen und Infrastrukturen müssen vernünftig und reif sein.“ So brachte Andreas Zielcke in der SZ auf den Punkt, wie die repräsentative Demokratie den Bürger auch vor seinesgleichen schützt. Gleichzeitig zeigt der Fall Feldafing, auf welch fragwürdige Weise Bürgerbegehren politische Ziele – etwa das eines Kulturstaats mit dezentralen Höhepunkten – auf ihren kleinen, lokalen Gehalt hinunterschrumpfen können: Es hatten ja dann doch nur die wenigsten Bewohner was gegen die Kunst, bloß sollte keiner, der sie sehen will, sein Auto vor ihrer Haustür parken! Je höher Zaun und Kirchturm, desto weniger sieht man eben vom Rest der Welt.

In Aubing und Trudering steht in diesem Sinne die Münchner Wohnungspolitik gegen den Wunsch nach Idylle: Da ist man extra in die schöne „Gartenstadt“ gezogen, und nun werden ausgerechnet hier Hunderte neuer Wohnungen gebaut. Wer weiß, wer da einzieht?! Den Frust kann man ja verstehen; trotzdem stellt seine zielstrebige Kanalisierung ins Bürgerbegehren angesichts der hohen Mieten in München eine lokalpatriotische Scheuklappenaktion dar. Zudem eine basisdemokratische Messe für St. Florian: Laut einer Umfrage der SZ kritisiert zwar eine große Zahl der Aubinger die Bebauungspläne in Aubing – Trudering soll aber ruhig zugepflastert werden. Während die Truderinger umgekehrt gegen eine Bebauung in Aubing nichts haben. So muß sich nun also die ganze Stadt, jedenfalls wenn sie urteilssicher abstimmen will, in Wohnbedarfsplanungen, Vollgeschoßbegrenzungen, Abstandsgrün und überbaute Grundstücksflächen je Wohngebäude vertiefen. Nicht, daß das nicht jeder könnte; aber war es nicht doch ganz sinnvoll, daß sich über all diese allerhand Überblick erfordernde, zeitraubende Kompetenzleistung gewählte Stadträte gestritten haben?

Die sprachen sich angesichts des Stadtteil-Egoismus nun noch mal zu 90 Prozent für die Bauplanung aus. Eine Phalanx namens „Münchner Bündnis für Wohnungsbau“ – die SPD und der DGB erstmals traut mit dem Ring Deutscher Makler vereint – plakatiert seit Tagen die halbe Stadt zu. Der Schuß der Bürger wird also am Sonntag wohl nach hinten losgehen; ein kostspieliger Urnengang mit dem Ergebnis, daß alles bleibt, wie es ist.

Dabei sitzt uns die Sache mit dem Tunnel im letzten Jahr doch noch in den Knochen, als bei zwei Bürgerbegehren gleichzeitig – Pro und Contra – beide gewannen; als also die Wähler alles wollten, wie sonst nur die Frauen: drei Tunnel unter dem Mittleren Ring durch, aber auch die Kindergärten und Krankenhäuser, die die Tunnelgegner mit dem ersparten Geld finanziert hätten. Tunnel und keine Tunnel sozusagen. In der Stichwahl – Beteiligung: gerade mal ein Drittel der Wahlberechtigten! – drückten schließlich doch 50,4 Prozent aufs Gas. Und nun liegen die ersten Bäume zum Baubeginn am Petuelring schon flach, und 400 Millionen Mark Kosten sind vom Ende erst der Anfang – wegen einer minimalen, zufälligen Mehrheit.

Andererseits stimmt ja, daß die Rot-Grünen damals zwar kluge Kritik, aber kein attraktives alternatives Verkehrskonzept vorlegten. Auch auf Autofetischisten muß man eingehen; wer das nicht tut, kriegt per Bürgerentscheid gezielter als bei Wahlen die Quittung. Auch in Feldafing sind nicht zuletzt die Politiker schuld, die vor lauter kulturpolitischer Euphorie ein Verkehrskonzept für die engen Seestraßen schlicht verpennt haben. Und in Trudering (ich bin da mal hingefahren) entpuppen sich manche der vermeintlichen Querulanten als ziemlich nette, gut informierte Leute, die vor allem eine müde, bornierte Verwaltung kritisieren: daß das gesetzliche Beteiligungsverfahren dort zu bürokratisch und die Informationspolitik dürftig gewesen seien, geben Teile der SPD in – gewiß wahlkampfwirksamer – Zerknirschung mittlerweile selbst zu.

Insofern ist es doch nützlich, daß die sonst Politikverdrossenen ein Instrument in der Hand haben, um sich von der „passiven Zuschauer- und Motz- zur Teilnehmerdemokratie“ zu bewegen, wie die Initiatoren des Volksentscheids „Mehr Demokratie“ in ihrer Bilanz der Bürgerentscheide schreiben. Bei den meisten der 124 bayerischen Kleinkriege sei durchaus sachlich gestritten worden; Vertreter von Partikularinteressen oder Baulobbyisten, die mit allzu augenscheinlichem Geldaufwand Mehrheiten warben, fielen meist durch. Und seit Jahrzehnten CSU- dominierte Kleinstädte erwachten durch Bürgerentscheide wieder zu politischem Leben.

Wer sagt, jetzt widerspricht sie sich aber!, hat recht. Denn so ist das mit der direkten Demokratie: Sie ist lästig, manchmal eine Zumutung (Freiheit aushalten!, würde Richard Rogler sagen), aber wichtig. Und die nächsten Tage werde ich noch mit folgender Frage verbringen: Könnte es sein, daß wir sie immer dann am wenigsten mögen, wenn es um Ziele geht, die unsere nicht sind? Bürgerbegehren gegen Müllberge und für eine dezentrale Energiepolitik – sofort dabei! Demokratie ist eben toll. Wenn bloß die vielen anderen Leute nicht wären.