Frau bekommt Stelle, Mann bekommt Geld

■ EuGH-Urteil: Höhere Entschädigung für Diskriminierung bei der Arbeitssuche

Karlsruhe (taz) – Wer bei der Einstellung wegen seines Geschlechts diskriminiert wird, kann künftig Schadensersatz in unbeschränkter Höhe verlangen. Dies entschied gestern der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg. Das deutsche Recht hatte die Entschädigung bisher auf drei Monatsgehälter begrenzt. Im gestern entschiedenen Fall hatte ein Mann, der Hamburger Nils D., geklagt; das Urteil kommt aber natürlich auch betroffenen Frauen zugute.

Vor zwei Jahren hatte sich Nils D. auf eine Annonce im Hamburger Abendblatt beworben. „Für unseren Vertrieb suchen wir eine versierte Assistentin der Vertriebsleitung.“ Nils D. ließ sich nicht abschrecken, erfuhr jedoch später, daß tatsächlich eine Frau eingestellt worden war. Der Hamburger ging vor das Arbeitsgericht und verlangte dreieinhalb Monatsgehälter Schadensersatz. Auch das Arbeitsgericht hielt Nils D. für qualifiziert und die geschlechtsspezifische Stellenanzeige für diskriminierend. Das deutsche Recht (611a BGB) begrenzt allerdings Ansprüche dieser Art auf drei Monatsgehälter. Da die Entschädigungspflicht auf eine EU-Richtlinie aus dem Jahr 1976 zurückgeht, fragte das Gericht nun in Luxemburg nach, ob das deutsche Gesetz nicht zu restriktiv sei.

Das Ergebnis war abzusehen: Deutschland muß seine Entschädigungsregel ändern. Zwar schreibe die Richtlinie, so der EuGH, keine bestimmte Sanktion vor, um Diskriminierungen bei der Einstellung zu verhindern. Wenn ein Mitgliedsstaat sich jedoch für eine Schadensersatzlösung entschieden habe, dann müsse diese auch „wirklich abschreckende Wirkung“ haben. Eine Entschädigung in Höhe von drei Monatsgehältern ist nach Ansicht des EuGH nicht abschreckend genug, zumal das deutsche Zivil- und Arbeitsrecht solche Höchstgrenzen sonst überhaupt nicht kennt. Eine Begrenzung der Entschädigung will der EuGH nur dann zulassen, wenn die diskriminierte BewerberIn gar keine Chance gehabt hätte, die ausgeschriebene Position zu erhalten.

Damit hat der EuGH bereits zum dritten Mal die deutsche Entschädigungsregelung als unzureichend kassiert. In der Praxis hat die Vorschrift bisher nur eine geringe Rolle gespielt. „Höchstens 50 Klagen im Jahr“ gebe es in Deutschland, so die feministische Rechtsanwältin Barbara Degen. Dabei ist das Kostenrisiko relativ gering. „Ich verstehe nicht, warum von dieser Klagemöglichkeit so wenig Gebrauch gemacht wird“, rätselt Reinhard Ens, Vizepräsident des Stuttgarter Arbeitsgerichts. Vor allem bei geschlechtsspezifischen Zeitungsannoncen stünden die Prozeßchancen gut.

Das gestrige Urteil läßt keine Rückschlüsse auf ein anderes derzeit in Luxemburg anhängiges Verfahren zu. Im Herbst 1995 hatte der EuGH die Bremer Frauenquote kassiert. Sie verstoße gegen Europarecht, weil sie Frauen „automatisch“ bevorzuge. Seitdem herrscht insbesondere in Deutschland große Verunsicherung, ob auch die zahlreichen anderen Landesgesetze mit Frauenquoten EU-rechtswidrig sind. Voraussichtlich wird der EuGH noch vor dem Sommer einen neuen Fall entscheiden, der Klarheit bringen wird. Dabei geht es dann um das nordrhein-westfälische Gleichstellungsgesetz, das wie die anderen Quotenregelungen eine Härtefallklausel für Männer aufweist. (Az: Rs C-180/95) Christian Rath