Dolgenbrodt kommt vor Gericht

■ Asylbewerberheim brannte im Herbst 1992 aus. Fünf Dorfbewohner werden jetzt als Brandstifter angeklagt

Berlin (AP/taz) – Die Staatsanwaltschaft in Frankfurt (Oder) hat Anklage gegen fünf Bewohner des brandenburgischen Dorfes Dolgenbrodt erhoben. Sie sollen Ende 1992 dafür gesorgt haben, daß ein Haus in ihrer Ortschaft in Brand gesteckt wurde, das für 86 afrikanische Flüchtlinge bereitstand. Was bislang als Verdacht galt, scheint nun bewiesen: Die Dolgenbrodter bezahlten Rechtsradikale, die das Asylbewerberheim niederbrannten. Blumenhändler Thomas O., Heizer Hans-Jürgen Sch., sein Stiefsohn Marco und Renato P. werden sich wegen vollendeter Brandstiftung in Tateinheit mit einem Vergehen gegen das Waffengesetz zu verantworten haben. Elektriker G. ist der Beihilfe angeklagt. Mit Ausnahme des Elektrikers sollen die angeklagten Dörfler gemeinsam beschlossen haben, den Brand zu legen. Dies sagte gestern der Rechtsanwalt des Blumenhändlers O. In der 17seitigen Anklageschrift heißt es, sie hätten dem damals 18jährigen Silvio J. den Auftrag zur Brandstiftung gegeben. Ferner hätten sie ihm bei der Vorbereitung und Herstellung der Brandsätze geholfen. Zur Belohnung hätten sie J. 2.000 Mark gezahlt. Drei der fünf Angeklagten seien geständig, ließ Rechtsanwalt Unger verlauten. Die beiden anderen bestreiten die Tat nach wie vor. Wegen ihrer Falschaussage in den zwei Prozessen gegen Silvio J. sind die Männer auch wegen Meineids und falscher uneidlicher Aussage angeklagt. Das Landgericht wird den Fall voraussichtlich im Spätsommer verhandeln.

Den Dolgenbrodtern mag die Anklage wie eine Ohrfeige vorkommen. Spätestens nachdem Silvio J. rechtskräftig als Brandstifter verurteilt worden war, wähnten sie ihr schlechtes Gewissen als besiegt. Doch Staatsanwältin Petra Marx hatte sich mit der Version des irregeleiteten Einzeltäters nicht zufriedengeben können. Bereits im Urteil gegen Silvio J. hatte das Gericht dem Dorf attestiert: „Ein ganzes Dorf wartete auf den Brandanschlag.“ Diesen Verdacht hat Marx erhärten können: mit einer neuerlichen Aussage von Silvio J. In seinen beiden Prozessen hatte er verschwiegen, was er in jener Nacht getan hatte. Dann aber, bei einer erneuten Ladung Ende 1996, packte er aus. Die Idee der Brandstiftung sei auf einer Bürgerversammlung geboren worden, die er mit Marco Sch. und dessen Eltern am 23. Oktober 1992 besucht habe. Tags darauf sei Marcos Vater mit ihm zum Asylbewerberheim gefahren, habe auf das Haus des Blumenhändlers gezeigt und gesagt, O. wolle zahlen. Silvio J. fuhr nach Königs Wusterhausen und heuerte den jetzt angeklagten Skinhead Renato P. an.

Am Tag vor dem Brand, am 31. Oktober 1992, saß Silvio J. bei der Familie Sch. am Mittagstisch. Der Vater hatte schon alles vorbereitet: In der Garage standen Heizöl und leere Spiritusflaschen. Silvio J. deponierte die Molotowcocktails im Kofferraum und holte seinen Freund Renato P. ab. Der soll auch die Flaschen geworfen haben, allein. Dafür fuhr Silvio J. anderntags zum Blumenhändler und holte sich das versprochene Geld ab. Der Elektriker soll 200 Mark beigesteuert haben.

Heute ist Silvio J. selbständiger Bauunternehmer, und er sagt, daß der Blumenhändler ihm in den Jahren bis zu seiner Verurteilung 14.000 Mark Schweigegeld gezahlt hat. Die Dolgenbrodter ahnen, was nun auf sie zukommt. „Das ist viel, viel mehr als bedauerlich, es ist ein schwerer Schlag für unser Dorf“, sagte Bürgermeister Pfannenschwarz kürzlich auf einer Bürgerversammlung. Annette Rogalla