: Chaos mit Methode
■ Mit den „Akzentverschiebungen“wurden die Sammlungen im neuen Museum Weserburg komplett umgemodelt
as Neue Museum Weserburg hatte seit seiner Eröffnung im Herbst 1991 mit einem schlechten Ruf zu kämpfen. Obwohl die Sammlungen des Hauses auf der Teerhofhalbinsel einen repräsentativen Querschnitt durch die letzten vier Jahrzehnte zeitgenössischer Kunst zeichnen, ist es den MacherInnen nie richtig gelungen, dieses Angebot im Bewußtsein der BremerInnen zu verankern. Mag sein, daß die puristische Präsentation in den Anfangsjahren dazu beigetragen hat. Mag sein, daß minimalistische Kunstauffassungen bevorzugt wurden.
Doch solche Überlegungen sind spätestens jetzt müßig. Denn nach der umfassendsten Neugruppierung seit Museumsgründung hat die Weserburg in den letzten Wochen eine Verwandlung vollzogen, die über die hausinterne Bezeichnung „Akzentverschiebungen“weit hinausgeht. Das Ergebnis kann zu den üblichen Öffnungszeiten oder – gratis – am kommenden Sonntag bei einem „Tag der offenen Tür“besichtigt werden.
Ganz ähnlich wie die Große Galerie der Bremer Kunsthalle schon vor der sanierungsbedingten Schließung in eine „Schule des Sehens“umgestaltet wurde, setzt auch das neue Neue Museum Weserburg auf eine Mischung aus Didaktik und Kunsterlebnis. Weit mehr als vorher darf die BesucherIn staunen und hat auch zahlreiche Gelegenheiten dazu. So verlockt zum Flanieren durch die noch immer labyrinthisch wirkende Architektur des Gebäudes erschließen sich die Beziehungen zwischen künstlerischen Richtungen und KünstlerInnen fast von selbst.
„Bei den Akzentverschiebungen wollten wir die Gleichzeitigkeit völlig verschiedener Strömungen deutlich machen“, sagt Hanne Zech, Kuratorin im ersten Sammlermuseum der Republik. Und diese geradezu chaotische Vielfalt der Strömungen entspricht in der neuen Präsentation dem Anything goes, das die bildende Kunst spätestens seit Beginn der 60er Jahre kennzeichnet.
Es reicht von den Klassiker-Zitaten eines Peter Chevalier über die minimalistischen Leuchtstoffröhren eines Dan Flavin bis hin zur Gesellschaft von drei fotorealistischen grauen Bildern Gerhard Richters mit Juan Muñoz Sackfiguren, die einem gleich beim Eintritt ins Museum ins Auge springen.
In einer klug austarierten Mischung von Konfrontation und Ergänzung werden die Kunstwerke und viele Motive von KünstlerInnen sowie die Vorlieben der SammlerInnen buchstäblich erlebbar.
In der Gegenüberstellung von Rainer Mangs mit Ziegelsteinstücken und Glasscherben versehenen Torsi und großflächigen Baselitz-Bildern atmet der expressive Geist für Museumsverhältnisse regelrecht wieder auf. Dem gegenüber schimmert aus der Gruppe monochromer Bilder im anderen Saalkopf des ersten Obergeschosses die Radikalität dieses Bildermachens durch. In den Nebenräumen runden Werkgruppen einer Richtung oder einer KünstlerIn sowie Gegenüberstellungen von Skulptur und Malerei das gelungene neue Konzept ab.
Genauso wie diese erste wurde auch die zweite Hauptetage des Museums komplett umgestaltet. Neben einer stärkeren Akzentuierung der Pop-Art fanden Hanne Zech & Co auch noch Platz, einen hierzulande nahezu unbekannten Surrealisten, den in Paris lebenden Chilenen Roberto Matta, vorzustellen. Diese Premiere ist genauso wie die ganze „Akzentverschiebung“nur durch die SammlerInnen möglich. Und zu denen haben die BremerInnen offenbar einen ganz guten Draht.
Denn der Weserburg ist alles andere als ein Verlust entstanden, obwohl auch die neue „Galerie der Gegenwartskunst“im Hamburger Kunsthallenerweiterungsbau mit zwei großen Leihgeberinnen – den Sammlungen Onnasch und Lafrenz – zusammenarbeitet. Im Gegenteil: „Der direkte Vergleich mit dem Hamburger Museum nützt uns“, sagt Hanne Zech. Denn im Urteil vieler BesucherInnen komme die Weserburg besser weg.
Mag sein, daß das an der Strenge der Kunstpräsentation liegt, für die sich die HamburgerInnen entschieden haben. Die Weserburg indes hat sich davon spätestens mit den „Akzentverschiebungen“verabschiedet. Christoph Köster
„Tag der offenen Tür“am Sonntag von 11 bis 18 Uhr; am gleichen Tag finden drei Ausstellungseröffnungen im Haus statt: In der Weserburg werden ab 11.30 Uhr Künstlerbücher von Jirí Valoch sowie eine Installation von Rudolf Herz präsentiert. Die im gleichen Gebäude untergebrachte Gesellschaft für Aktuelle Kunst (GAK) lädt um 12 Uhr zur Vernissage mit Arbeiten von Terry Fox
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