Am Ende bleibt nur der Zweifel

Ein spektakulärer Prozeß geht zu Ende: Heute wird das zweite Urteil gegen Monika Böttcher erwartet. 1988 war sie als Doppelmörderin zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt worden  ■ Von Heide Platen

Fünf Stunden lang plädierten die Hamburger Rechtsanwälte Uwe Maeffert und Gerhard Strate letzte Woche vor dem Gießener Landgericht, um einen Freispruch für ihre Mandantin zu erstreiten. Monika Böttcher, geschiedene Weimar, sprach ihr kurzes Schlußwort: „Ich hatte keinen einzigen Grund, meine Kinder zu töten.“

Elf Jahre lang hatte der Doppelmord an ihren beiden Töchtern, der siebenjährigen Melanie und der fünfjährigen Karola, begangen im heißen August 1986, die Öffentlichkeit und die Medien beschäftigt. Im Januar 1988 war Monika Weimar vom Fuldaer Landgericht als Doppelmörderin zu lebenslanger Haft verurteilt worden. In der Haft ließ sie sich von ihrem Mann Reinhard scheiden, den sie immer wieder der Tat beschuldigt hatte. In jahrelanger Kleinarbeit erstritt der Revisionsspezialist Strate das Wiederaufnahmeverfahren. Am Ende dieses neuen Prozesses, der im Juni 1996 begann, stehen sich wiederum die Aussagen von Monika Böttcher und die ihres Ex-Ehemannes gegenüber.

Sie hatte gesagt, er habe die Kinder nachts umgebracht, als sie mit ihrem Freund in der Diskothek war. Als sie heimkam, seien die Mädchen schon tot gewesen. Die Anklage nahm diesmal, wie damals, an, sie habe die Kinder am darauffolgenden Vormittag umgebracht. Der Ehemann schwieg die meiste Zeit, wirkte auf die Vernehmungsbeamten verwirrt und sagte dann im ersten Prozeß als Zeuge und Nebenkläger aus, er habe von allem gar nichts mitbekommen.

Und es bleiben wiederum Fragezeichen. Neue Zeugen hatten sich gemeldet, vor allem solche, die aussagten, sie seien von der Schuld des Vaters der Mädchen überzeugt, er hätte sie ihnen gar selbst gestanden. Teils kamen sie dann gar nicht zur Aussage, teils waren ihre Angaben so vage und abenteuerlich, daß auch die Verteidigung nicht auf sie bauen mochte. Sie machte sich statt dessen akribisch daran, die Indizien gegen Monika Böttcher Stück für Stück zu zerpflücken, deren einseitige Interpretation durch Ermittlungsbehörden, Staatsanwaltschaft und Fuldaer Landgericht sichtbar zu machen und mögliche Alternativen zum angenommenen Tathergang aufzuzeigen.

Die Unschuld ihrer Mandantin haben sie damit nicht beweisen können, was, so Verteidiger Maeffert einmal im Lauf des Prozesses, „auch nicht unsere Aufgabe ist“. Ebensowenig aber reichten, so die Anwälte, die „stummen Zeugen“, die Indizien, zu einer Verurteilung aus. Fast alle sprächen zum einen gewiß nicht für die Schuld, zum anderen eher für die Unschuld ihrer Mandantin. Größtes Gewicht legten sie dabei auf ein neues Fasergutachten, vorgetragen von einem Beamten des Bundeskriminalamtes, dem zu entnehmen war, daß die Funde von gelben Blusenfasern der Monika Weimar an der Kleidung ihrer toten Kinder eben nicht unbedingt auf sie als Täterin schließen lassen, sondern auch anderweitig dorthin gekommen sein können. Auf dieser Basis, die nicht den Ermittlungsbehörden zu verdanken ist, wird die 2. Strafkammer des Gießener Landgerichts morgen gesicherter urteilen können als ihre Vorgänger in Fulda. Zweifel werden, wie auch immer der Spruch lauten wird, weiterhin bleiben, schon deshalb, weil der Versuch einer Wahrheitsfindung durch die inzwischen verstrichene Zeit erschwert wurde.

Die Prozeßatmosphäre, die in Fulda vor zehn Jahren an jedem Verhandlungstag von einem sensationshungrigen Publikum angeheizt wurde, ist in Gießen jedenfalls vorwiegend sachlich geblieben. Statt der Indizien war es dann doch ein lebender Zeuge, der den spektakulärsten Auftritt in dem Verfahren hatte. Der ehemalige Liebhaber der Angeklagten, der US-Amerikaner Kevin Pratt, war vor allem auf den dringenden Wunsch der Nebenklage, die Reinhard Weimar vertritt, eingeflogen worden. Sie hatte, zugunsten ihres ständig in psychiatrischer Behandlung stehenden Mandanten, auch ihn wieder in den Kreis der Tatverdächtigen einbeziehen wollen. Der Ex-GI, inzwischen auch schwer krank, mußte im Rollstuhl in den Gerichtssaal geschoben werden. Ohne Groll und noch immer mit einer fernen Sympathie für seine damalige Freundin, machte er einer Legendenbildung ein Ende.

Die Kinder, hatte es vor elf Jahren immer wieder geheißen, seien Monika Böttcher bei ihrer außerehelichen Beziehung mit Pratt im Wege gewesen. Die Anklage hatte gar „sexuelle Hörigkeit“ angenommen. Das Motiv „sexuelle Abhängigkeit“ hatte die Psychologieprofessorin Elisabeth Müller- Luckmann schon damals als eine männliche Fiktion von weiblicher Abhängigkeit analysiert. Sie wiederholte auch diesmal, daß die Tat der Angeklagten eher nicht zuzutrauen sei.

Elisabeth Müller-Luckmann befaßte sich eingehend mit den Fragen, die die Öffentlichkeit schon seinerzeit irritiert hatten. Wieso hat Monika Weimar nicht Zeter und Mordio geschrien, als sie die toten Kinder fand? Warum hat sie im Gegenteil ihren Ehemann durch die fingierte Suche nach den Mädchen auch noch gedeckt? Eine solche „Blockade“, so die Gutachterin, sei nicht ungewöhnlich und durch den Schockzustand zu erklären. Die Angeklagte, zur Tatzeit 28 Jahre alt, könne die Tatnacht durchaus in einem „Gefühlschaos“ erlebt haben, bei dem sie unter starkem Streß und Alkoholeinfluß das Geschehene nicht habe wahrnehmen wollen. Sie habe vielleicht auch die unterbewußte Hoffnung gehegt, alles werde sich „als ein böser Traum“ erweisen.

Pratt versicherte dem Gericht mehrfach, daß er die Kinder seiner Freundin „geliebt“ habe und sich vorgestellt habe, sie könnten in der Zukunft „als Familie“ zusammenleben, vielleicht auch mit seinen eigenen Kindern seiner damals von ihm noch nicht geschiedenen Frau, die ihn verlassen hatte. Auch darüber, ob sie in Deutschland oder in den USA zusammenbleiben wollten, sei von seiner Seite noch keine endgültige Entscheidung getroffen worden. Streitereien zwischen ihnen habe es schon gegeben, vor allem um die Scheidung von Monika Böttcher. Die seien aber zur Tatzeit nicht so gravierend gewesen, daß für die Frau ein unerträglicher Druck entstanden sein könnte.

Die Absetzbewegungen aus der Beziehung habe er erst nach der Tat begonnen. Das sei ihm schwergefallen, denn sie habe ihm leid getan. Aber sie habe nicht begriffen, daß er wegen des Verhältnisses zu ihr Schwierigkeiten mit seinen Vorgesetzten bekommen habe. Zum endgültigen Zerwürfnis sei es für ihn erst gekommen, als er erfuhr, daß sie nicht nur die Polizei, sondern auch ihn lange darüber im unklaren gelassen hatte, daß sie seit der Tatnacht vom Tod ihrer Kinder gewußt habe. Er habe das nicht verstanden.

Da war Pratt seinerzeit nicht der einzige. Dies habe, so Verteidiger Strate, zu einer Umkehr der Ermittlungen geführt. Die Beamten, die seinerzeit ebenfalls Verdacht gegen ihren Ehemann hegten, seien erst umgeschwenkt, als sie selber, nach wochenlangem Schweigen, ihn beschuldigte: „Da hat ihr keiner mehr geglaubt.“ Monika Böttcher ist, sagten entfernte Prozeßbeobachter, in den neun Jahren ihrer Haft „eine andere Frau“ geworden. Das Medienbild der Angeklagten ist trügerisch. Die introvertierte, gehemmte Person, die sich immer wieder in Widersprüche verstrickt, ist sie geblieben. Und auch jene, die sich trotzdem Mühe gibt, es allen recht zu machen. Locker und entspannt wirkt sie sehr selten, und wenn, dann im sehr kleinen Kreis ihr vertrauter Menschen.