Die Frau, das fremde Wesen

Quotenregelungen bestätigen ein antiquiertes Frauenbild. Nur einer Gruppe schon privilegierter Frauen wird der Zugang zur Macht ermöglicht  ■ Von Andrée Baduel

Ein machistisches und rückständiges Frauenbild war der Grund dafür, daß in Frankreich die politische Unmündigkeit der Frauen erst sehr spät – im Jahre 1946 – abgeschafft wurde. Ausgerechnet in dem Land, wo immerhin vor 200 Jahren bereits die Gleichheit der Menschen in der „Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte“ niedergeschrieben wurde. Wenn heute die Quotenregelung für die wichtigsten französischen Wahlen eingeführt wird, leistet man eben jenem antiquierten Frauenbild weiterhin Vorschub. Ob der geforderte Frauenanteil auf den Wahllisten nun auf 25 Prozent, 30 Prozent oder mehr festgelegt wird, macht dabei keinen Unterschied. Die Sozialistische Partei hat zwar einem Frauenanteil von 30 Prozent auf den Listen der Parlamentswahlen in diesem Jahr zugestimmt, aber auch das ändert nichts an diesem Bild der Frau.

In Quoten zu denken und zu behaupten, Frauen dadurch Zugang zu politischer Verantwortung zu ermöglichen, besagt im Grunde nichts anderes, als die Frau wie eine Außenseiterin zu behandeln. Großzügig, aber unter Vorbehalt, wird ihr ein wenig Platz in den Gefilden der Macht eingeräumt. Geradezu großmütig, jedoch willkürlich, werden ihr Teile des politischen Marktes übergestülpt. Tief im Bewußtsein bleibt jedoch die Vorstellung verankert, daß die Frau ein fremdes Wesen sei, grundsätzlich unterschiedlich von denen, die seit jeher die Macht unter sich aufteilen. Die Frau wird behandelt, als sei sie unfähig, sich durchzusetzen, als bedürfe sie der Unterstützung und großherzigen Hilfe dieser Herren, um endlich die Stufen des politischen Podiums erklimmen zu können.

10, 20, 30 Prozent... Warum eher dieser als jener Prozentsatz? Welche Logik, welcher Aberglaube liegen dem zugrunde? Zu welchen Werten stehen diese Größen im Verhältnis? Zum ökonomischen Wert der Frau? Zu ihren Zugangschancen zu höherer Bildung? Zum Anteil arbeitsloser Frauen in unserer Gesellschaft – einer Zahl, die durch wirtschaftliche Ausgrenzung eines Großteils der Frauen und Jugendlichen sowieso nicht viel aussagt? In einem Land, in dem 51,3 Prozent der Bevölkerung Frauen sind, nehmen diese in der Nationalversammlung ganze 5,5 Prozent der Sitze ein. 1946, als man ihnen das Wahlrecht zugestand, waren es kaum weniger.

Von Frauen als Quoten zu reden scheint mir ein Ausdruck sozialer und politischer Rückständigkeit zu sein. Es bedeutet in erster Linie, daß politische Verantwortung gewissermaßen „naturbedingt“ Männersache sei. Ihnen obliegt dann auch die Verteilung der „göttlichen“ Aufgaben – auch an Frauen.

Der Ruf nach Quotenregelung könnte in der Tat eine gewisse Zurückhaltung seitens unserer männlichen Kollegen nach sich ziehen. Aus Angst, die Politik als „letztes Refugium der Männlichkeit“ zu verlieren. Aber nicht nur, weil sie uns auf Posten zusteuern sehen, an denen gesellschaftlich entscheidende Beschlüsse gefaßt werden. Dahinter steckt noch viel mehr: Eine Quotenregelung einzuführen bedeutet auch, die Veränderung der Gesellschaft abzulehnen. Es ist die Weigerung, das derzeit größte Hindernis auf dem Weg zur vollständigen Emanzipation der Frauen in den Industrieländern, aber auch aller Individuen in den Schlupfwinkeln funktionierender Demokratie zu sprengen.

Die Übernahme politischer Macht durch eine große Gruppe Frauen kann nur unter der Bedingung grundlegender wirtschaftlicher, sozialer und institutioneller Veränderungen stattfinden. Einfach weil ihre — unsere – Machtübernahme nur unter der Voraussetzung grundsätzlicher Umorganisierung der Arbeitszeiten realisierbar wäre. Arbeitsplatzteilung (bei gleichbleibendem Lohn) ist hierfür eine unerläßliche Bedingung.

Quotenregelungen vorzuschlagen und für sie zu kämpfen, ist der Versuch, Fuchs und Hase zu versöhnen, es allen recht machen zu wollen. Dieser faule Kompromiß soll die gerechte Forderung der Frauen nach Zugang zu politischen Entscheidungspositionen befriedigen und den Männern als traditionellen Machthabern das schlechte Gewissen beruhigen.

Einer Handvoll Frauen würde durch Quoten der Zugang zu Machtpositionen in der Politik ermöglicht. Aber wieder wäre dies nur eine Gruppe Privilegierter, die neben Glück, Ausbildung und finanziellen Mitteln auch die Zeit haben, sich ihrer politischen Karriere zu widmen. Damit wird das gleiche Prinzip reproduziert, das heutzutage in den schwerwiegendsten Niedergang der politischen Kultur überhaupt führt.

Für die Quotenregelung zu stimmen beinhaltet außerdem, eine Karikatur von Demokratie zu akzeptieren. Wenn Frauen schon keine Zeit haben, an Versammlungen auf kommunaler Ebene teilzunehmen, keine finanziellen Mittel für eine Ausbildung oder für ein menschenwürdiges Leben haben; wenn sie im Alltag einfach überlastet sind, dann haben sie erst recht keine Möglichkeit, am politischen Leben auf Landesebene teilzunehmen. Dann ist es ihnen unmöglich, sich in der Politik auf Stellen zu bewerben.

Die Quotenregelung ist ein Holzweg, denn nur eine dünne Schicht Frauen wird in den heiligen Hallen der Macht in Spitzenpositionen akzeptiert. Letztendlich begünstigt sie ein System, in dem außer der Möglichkeit des Neinsagens nichts Demokratisches zu finden ist. Quoten japanischer Angestellter in Unternehmen auf der anderen Seite des Atlantiks? Quoten von Immigranten dieser oder jener Herkunft? Frauenquoten in der Politik? Sind Frauen denn eine Sonderkategorie Menschen?

Allein eine Gleichstellung wird uns wirkliche Demokratie garantieren können. Sie müssen wir uns erkämpfen!

Übersetzung: Monika Bergmann

Andrée Baduel ist promovierte Geographin an der Pariser Sorbonne und Schriftstellerin (Ende Mai erscheint ihr Roman). Sie engagiert sich sehr in Bürgerinitiativen in Toulon im Kampf gegen die extrem rechte Nationale Front (FN). Sie ist Mitglied der Radikalen Sozialistischen Partei (P. R. S.).