Der alte Traum vom Ausrotten der Tutsi

Im Osten Zaires kämpfen Kabilas Rebellen gegen ruandische Hutu – Teil eines eskalierenden Konflikts zwischen Rebellenallianz und Milizen, die die „Tutsi-Herrschaft“ loswerden wollen  ■ Von François Misser

Brüssel (taz) – Schwere militärische Auseinandersetzungen zwischen der zairischen Rebellenarmee und ruandischen Hutu-Milizen südlich von Kisangani verhindern derzeit die Versorgung der etwa 90.000 ruandischen Flüchtlinge in der Region. Wegen einer „Sicherheitsoperation“, wie die herrschende „Allianz demokratischer Kräfte für die Befreiung von Kongo/Ex-Zaire“ (AFDL) sagt, ist Hilfsorganisationen der Zugang zu den Flüchtlingslagern versagt. Gestern berichtete das UNHCR, die 55.000 Insassen der zwei größten Lager seien erneut auf der Flucht.

Die Kämpfe folgen auf mehrere Angriffe aus den Lagern heraus auf die einheimische Bevölkerung, die im Gegenzug die Hilfstransporte für die Lager stoppte. In einem Vorfall drangen mit Maschinengewehren bewaffnete Flüchtlinge in ein zairisches Dorf ein, enterten drei Häuser und eröffneten das Feuer auf alle Anwesenden. Es ist offensichtlich, daß extremistische Hutu-Milizen weiter unter den Flüchtlingen aktiv sind.

Die AFDL ist bestrebt, den Milizen Herr zu werden, denn sie steht im Osten Zaires einer wachsenden Zahl von bewaffneten Gruppen gegenüber, die sich im Kampf gegen die vermutete „Tutsi-Herrschaft“ der Rebellen zusammenschließen. Am schärfsten sind die Auseinandersetzungen im Süden der Provinz Süd-Kivu, wo die AFDL-Rebellion im Sommer 1996 ihren Ausgang nahm. Nach unabhängigen Angaben hat die AFDL bereits die Kontrolle über die Stadt Fizi am Tanganjikasee südlich von Uvira verloren.

Hauptgegner der AFDL in Süd- Kivu sind bewaffnete Gruppen der 200.000 Menschen zählenden Bembe-Ethnie. Die Bembe sind seit alters her mit den Banyamulenge-Tutsi verfeindet, die das militärische Rückgrat der AFDL darstellen – es war der Versuch der Mobutu-treuen Provinzregierung von Süd-Kivu, die Banyamulenge aus Zaire zu vertreiben, der im vergangenen Herbst zum Tutsi-Aufstand und zur Bildung der Rebellenallianz führte. Als die neugegründete AFDL im Oktober 1996 die Stadt Uvira „befreite“, wurden mehrere hochrangige Bembe umgebracht, und viele Bewohner hielten die „Befreiung“ für eine Invasion aus Ruanda. Sie bildeten Milizen gegen „die Leute, die Englisch sprechen“, und mehrere zehntausend Bembe flohen über den Tanganjikasee nach Tansania. Viele Mitglieder der Bembe und anderer Völkern des Kivu, die zum Teil schon lange selber gegen das Mobutu-Regime gekämpft hatten, befanden sich also von Anfang an in Feindschaft zu Kabilas AFDL.

Die Banyamulenge-Tutsi sollen Posten abtreten

In Bukavu, Hauptstadt von Süd- Kivu, beklagen prominente Vertreter von Nicht-Tutsi-Völkern offen die „monoethnische“ Zusammensetzung der AFDL-Armee und werfen den Banyamulenge- Tutsi vor, zu viele Posten in der neuen Provinzverwaltung zu besetzen. Die Allianz ist sich dieser Problematik bewußt: Im März rief Masasu Nindaga, AFDL-Militärchef von Süd-Kivu, die Banyamulenge dazu auf, einige Posten wieder an andere Ethnien abzutreten. In einer Geste des guten Willens soll jetzt der als Hardliner geltende Sicherheitsminister der AFDL, Paul Kabongo, entlassen und von einem Bembe aus der Partei des Allianzführers Laurent-Désiré Kabila ersetzt worden sein.

Auf der Gegenseite sind bedenkliche Entwicklungen zu verzeichnen. Am 3. Dezember 1996 gründete Emmanuel Asema bin- Amisi, Koordinator der protestantischen Schulen in der Region um Fizi, zusammen mit Bembe-Intellektuellen im tansanischen Kigoma einen „Widerstands- und Befreiungsrat von Kivu“ (CRLK) mit einem bewaffneten Arm, die „Bewaffneten Widerstandskräfte von Kivu“ (FRAK). Das Programm der CRLK ähnelt der Ideologie des Hutu-Extremismus in Ruanda und Burundi: Die Tutsi im Kivu würden zusammen mit den „Tutsi-Regimen“ in Uganda, Ruanda und Burundi ein Großreich errichten und die „Ausrottung der Bantu“ betreiben. Daher müsse nach dem Krieg gegen Mobutu der Krieg gegen die „Ruander“ weitergeführt werden – gemeint ist die Vertreibung der ruandischsprachigen zairischen Tutsi. Die aus Ruanda bekannte Völkermordideologie ist also noch lebendig.

Am 8. Januar schlossen sich der CLRK und eine andere bewaffnete Organisation von Süd-Kivu mit zwei kleinen Hutu-Guerillagruppen aus Burundi zusammen – der „Nationalen Befreiungsfront“ (Frolinat) und der „Partei zur Befreiung des Hutu-Volkes“ (Palipehutu). Als Gegenorganisation zur AFDL gründeten sie die „Alliance de Collaboration pour la Résistance et la Libération des Bantous des Pays des Grands Lacs“. Zu vermuten ist, daß die ruandischen Hutu-Milizen südlich von Kisangani dieser neuen Tendenz nahestehen.

Auch die größte burundische Hutu-Guerilla-Organisation CNDD arbeitet eng mit der CRLK zusammen. Nach Angaben aus Bembe-Kreisen griff die CNDD vom zairischen Westufer des Tanganjikasees aus am 23. März die burundische Stadt Rumonge am Ostufer an. Die Attacke forderte zwischen 150 und 400 Tote. Wie CNDD-Sprecher Jerôme Ndiho in Brüssel ausführt, kamen die Guerilla-Einheiten mit Maschinengewehren in Motorbooten über den See. Zwei Tage später kaperten die burundischen Kämpfer ein Schiff im Besitz des griechischen Reeders Costa Philippou aus Burundis Hauptstadt Bujumbura und griffen damit Moba an, eine zairische Stadt weiter südlich am Westufer des Tanganjikasees. In derselben Woche beschossen sie ein Boot des burundischen Geschäftsmanns Jerôme Damama, das südafrikanische Waffen aus Sambia am Südende des Sees nach Burundi transportierte.

Die Allianz hat es also in ihrem Kerngebiet nicht geschafft, das Vertrauen vieler ortsansässiger Völker zu gewinnen. Am Tanganjikasee steht das AFDL-Territorium Angriffen von außen offen. Daß das schwer zu verhindern ist, weiß Kabila am besten: Mit genau solchen Aktionen führte er in den 80er Jahren seinen damals erfolglosen Kampf gegen Mobutu.