Telefonieren ist bald keine Schnitzeljagd mehr Von Iris Hanika

Die aktiengestützte Kapitalismuskompatibilität der Telekom hat doch etwas Gutes. Denn jetzt bemüht man sich bei den magentafarben gehauenen Riesenzwergen um wirkliche Verbesserungen. Telefonieren wird bald so leicht sein, wie bei jemandem an die Tür zu klopfen! Allerdings nur mit ISDN-Anschluß, irgendwie.

In der neuesten Werbebroschüre über ISDN jedenfalls steht, und zwar magentarot hervorgehoben: „Jeder bekommt seine eigene Rufnummer und ist so ganz gezielt erreichbar.“ Darauf habe ich mein Leben lang gewartet! Jeder bekommt seine eigene Rufnummer und ist so ganz gezielt erreichbar! Endlich ist Schluß mit dem stundenlangen und nervenaufreibenden Rumsuchen im Telefonnetz, bis man den an der Strippe hat, mit dem reden will.

Wenn man jemanden auf dem Dorf anruft, ist es ja noch einfach, weil sich da in der Regel alle kennen; da wählt man einfach die endlos lange Vorwahl und der, der dann rangeht, weiß ja meistens, ob der, mit dem man reden will, gerade auf dem Feld ist oder in der Wirtschaft oder im Keller, und kann ihn dann holen. Das ist nicht schwer. Aber ich kenne nicht so viele Bauern, und außerdem ist das ein eher wortkarger Menschenschlag, der nicht gern telefoniert.

Leute in Großstädten anzurufen ist ungleich schwieriger. Nach Kassel zum Beispiel wähle ich 0561 und drücke dann blind so viele Nummern, wie ich mit einer Hand auf einmal drücken kann, das heißt, meistens haue ich bloß mit der Faust aufs Telefon. Manchmal habe ich Glück und lande sogar schon mal in der Straße, wo die wohnt, mit der ich reden will; in der Regel muß ich aber schon froh sein, wenn es wenigstens der richtige Stadtteil ist.

Unter zehn Versuchen, bei denen ich „den gewünschten Gesprächspartner“ (so heißen bei der Telekom die Leute, mit denen man reden will) langsam einkreise, schaffe ich in der Regel kein Telefonat. Mein Rekord waren 53 Anrufe, bloß um meiner Schwester, die gerade bei ihrer Freundin zu Besuch war, zum Geburtstag zu gratulieren, und dabei war es noch nicht einmal ein runder. Daß das nun vorbei sein soll – das nenne ich Fortschritt.

Allerdings muß ich mir ein neues Telefon kaufen, damit ich selbst dann noch telefonieren kann, wenn mein „Gesprächspartner einmal besetzt“ ist. Gerade meine Freundin in Kassel ist nämlich oft von ihren Kindern oder ihrem Freund besetzt und dadurch wirklich schwer erreichbar. Die Broschüre, in der das mit dem gezielten Telefonieren steht, verkündet es gleich auf dem Titelblatt: „Mit T-Net-ISDN ist vieles möglich. Wenn Sie das richtige Telefon haben.“ Es steht aber auch drin, daß es jetzt im Sonderangebot schon welche für 798 Mark gibt. So muß ich jetzt nur noch eine Briefkette starten, wo ich den Leuten befehle, mir jeweils mindestens 100 Mark zu überweisen. Das werden sie tun, weil ich ihnen gleichzeitig drohen werde, daß sie sonst ein Fluch trifft, zum Beispiel der, daß sie nie einen ISDN-Anschluß bekommen und ihr Leben lang auf die magentabeschmierten Kindertelefone hauen müssen. So werde ich schon bald die 798 Mark für das gezielte Telefonieren zusammenhaben. Und die gelbe Post hat auch noch was davon!

Du magentablau besoffene Telekom, ich danke dir.